Kapitelübersicht - Ökologische Zeiten - Die Grünen

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Alternative Liste / Die Grünen    

Wege der Erinnerung

  1. Vorgeschichte
  2. Die Grünen im Bundestag: Opposition als Programm
  3. Stilfragen
  4. Das grüne Spektrum: grün, rot und schwarz
  5. Realos vs. Fundis
  6. Basisdemokratie
  7. Grüne Erfolge
  8. Bündnis 90 wird grün
  9. Macht als Testfall
  10. Eine überraschende Partei...

 

Verwandte Themen

Tschernobyl, Der GAU, Das Waldsterben, Blauer Himmel über der Ruhr, Garzweiler, Risikotechnologien

 

Literatur

Markus Klein, Jürgen W. Falter, Der lange Weg der Grünen. Eine Partei zwischen Protest und Regierung. München 2003.

 

Joachim Raschke, Die Grünen. Wie sie wurden, was sie sind. Köln 1993.

 

Fußnoten

[1] Die GRÜNEN Bundesgeschäftsstelle (Hrsg.), Diesmal DIE GRÜNEN – warum? Ein Aufruf zur Bundestagswahl 1983. Bonn o.J. [1983].
 
[2] Der Spiegel Nr. 24 (14. Juni 1982), S. 52.
 
[3] Der Spiegel Nr. 26 (23. Juni 2003), S. 32.

 

[4] http://www.gruene-partei.de/cms/gruene_work/rubrik/0/239.198489.htm.

 

Bildnachweis

Wahlplakat der Grünen zur Bundestagswahl 1983.

Luftverschmutzung, Naturschutz, Protest von Anwohnern – für viele Dinge, die man gemeinhin mit der ökologischen Bewegung verbindet, gibt es tatsächlich ältere Traditionen. Dass sich rund um Umweltthemen eine neue Partei formierte, war jedoch eine echte Neuigkeit. Die Grünen machten sich in den späten siebziger Jahren daran, das bundesdeutschen Parteiensystem aufzumischen. Am Ende handelte es sich um die einzige erfolgreiche Parteienneugründung der alten Bundesrepublik. Bis die Grünen als fester Teil des bundesdeutschen Parteiensystems gelten konnten, war es freilich ein langer und kurvenreicher Weg, begleitet von zahlreichen Prophezeiungen, dass das Ende des ungewöhnlichen Experiments nahe sei. Kaum eine Partei provozierte derart konträre Meinungen wie die Grünen, aber ein Punkt ist nach mehr als 30 Jahren wohl konsensfähig: Totgesagte leben lange.

 

 

1. Vorgeschichte

Wer in den späten 1970er Jahren gegen Atomkraft war, wusste zwar eine relativ breite zivilgesellschaftliche Bewegung hinter sich, fand seine Interessen im Bundestag jedoch nicht vertreten. FDP, SPD und die Unionsparteien hielten an der Kernkraft fest, und dieser Kräfteverteilung entsprechend fiel im Jahr 1977 die Entscheidung, ein Entsorgungszentrums für radioaktiven Abfall in Gorleben zu bauen. Befördert durch den Wahlerfolg der französischen Ökologisten, begannen sich einzelne Aktivisten zu grünen Listen zusammenzuschließen. Nach einzelnen Erfolgen bei Kommunal- und Landtagswahlen gründete sich schließlich im März 1979 die "Sonstige Politische Vereinigung DIE GRÜNEN" zur Teilnahme an der Europawahl, bei der die Partei mit 900.000 Stimmen (3,2 Prozent) überraschend gut abschnitt. Im Januar 1980 folgte die förmliche Gründung der Bundespartei DIE GRÜNEN. Bei ihrer ersten Bundestagswahl 1980 scheitert die neue Partei jedoch mit 1,5 Prozent noch deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde.

 

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2. Die Grünen im Bundestag: Opposition als Programm

Seit 1961 gab es im Deutschen Bundestag nur drei Fraktionen: SPD, FDP und CDU/CSU. Das änderte sich am 6. März 1983: Mit 5,6 Prozent der Zweitstimmen zogen die Grünen in den Deutschen Bundestag ein und stellten 28 Abgeordnete. Damit hatte sich das erste Ziel der Grünen schon erfüllt, nämlich eine Alleinregierung der Unionsparteien zu verhindern. Angetreten waren die Grünen dabei bewusst als Partei, die eine "echte Opposition" sein wollte. Schon im Voraus schlossen die Grünen eine Koalition aus. Ihr Ziel war es, Druck auf die etablierten Parteien auszuüben und "der pazifistischen, ökologischen und sozialen Opposition unseres Landes auch im Bundestag eine Stimme zu geben"[1]. Parallel setzten die Grünen auf den "Widerstand auf der Straße", wie Petra Kelly in einem Spiegel-Interview erklärte: "Das Parlament ist kein Ziel, sondern Teil einer Strategie. Wir sind die Antipartei-Partei."[2]

 

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3. Stilfragen

Der Unterschied zu den etablierten Parteien dokumentierte sich auch im Erscheinungsbild der frischgebackenen Parlamentarier. Die Männer trugen lange Haare und wilde Bärte, die Frauen strickten und der Kleidungsstil tendierte stark in Richtung Pullover. Als 1985 in Hessen der erste grüne Umweltminister vereidigt wurde, trug Joschka Fischer helle Turnschuhe – kein Lapsus, sondern ein gezielter Stilbruch, dem längere interne Diskussionen vorausgegangen waren. Die Erinnerung an das unorthodoxe Auftreten blieb auch dann noch lebendig, als längst grüne Minister mit Anzug und Krawatte am Kabinettstisch saßen. Noch 2003 wählte der Spiegel für ein Interview mit der damaligen Fraktionschefin der Grünen im Bundestag Katrin Göring-Eckardt die Überschrift: "Ich kann Strümpfe stricken."[3]

 

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4. Das grüne Spektrum: grün, rot und schwarz

Bei ihrer Gründung sprachen die Grünen ein breites Spektrum unterschiedlicher Gruppierungen an. Ihnen schlossen sich Menschen aus dem schwarzen bürgerlich-konservativen Lager ebenso an wie grüne Umweltschützer aus der Anti-AKW-Bewegung. Aber auch die Sozialdemokraten und rote Gruppen (Sozialisten und Kommunisten) fanden sich in der neuen Partei wieder. Gemeinsam hatten die verschiedenen Strömungen neben einem diffusen Bekenntnis zum Schutz der Umwelt vor allem das Wissen, dass sie alleine zu schwach waren, um die Sperrklausel zu überwinden. Anfangs waren die Konservativen noch tonangebend, wurden aber bald von den Linken an den Rand gedrängt. Dies führte zu einem Exodus der konservativen Kräfte um Herbert Gruhl, die ihre politische Heimat schließlich in der neugegründeten ÖDP fanden. Mit der Wiedervereinigung und dem Zusammenschluss mit dem ostdeutschen Bündnis 90 bekamen die roten Gruppierungen kurzzeitig wieder Aufwind, konnten sich aber nicht durchsetzen und wechselten in die PDS. Mit der Regierungsverantwortung in Bund und Ländern wichen schließlich die alten ideologischen Grabenkämpfe mehr und mehr einer pragmatischen Politik.

 

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5. Realos vs. Fundis

Den Grünen gelang zwar die Integration verschiedener Strömungen, doch das bedeutete für die Partei ständige innere Konflikte. In den achtziger Jahren brachten die Kämpfe zwischen Realos und Fundis die Partei an den Rand einer Spaltung. Die Realos plädierten für ökologische Reformen, waren aber grundsätzlich bereit, die parlamentarischen Spielregeln anzuerkennen und auch Koalitionen in Erwägung zu ziehen. Dem gegenüber standen die Fundis, die zu keinen Kompromissen entgegen ihrer ökologischen Gesinnung bereit waren und auf der Oppositionsrolle der Grünen beharrten. Lange Zeit dominierten die Fundis die Politik der Grünen. Erst in den frühen neunziger Jahren gelang es den Realos sich zu formieren und – bedingt durch den Wechsel etlicher Fundis zur PDS und das schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl 1990 – die Führung in der Partei zu übernehmen. Inzwischen ist der Gegensatz von Realos und Fundis weitgehend verschwunden: Die Grünen sind eine regierungs- und koalitionsfähige Partei – auch wenn die Berliner Landtagswahl vom September 2011 zeigte, dass nicht jede geplante Koalition tatsächlich zustande kommt.

 

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6. Basisdemokratie

Die Grünen gestalteten ihre Organisationsstruktur bewusst als Gegenentwurf zu den Herrschaftsstrukturen der etablierten Parteien. Ziel der Basisdemokratie war es, den Charakter der zivilgesellschaftlichen Bewegung, der die Grünen entstammten, zu erhalten. Außerdem konnten nur so die verschiedenen Strömungen innerhalb der Partei friedlich beteiligt werden. Die große Angst der Grünen war es, den Kontakt zu ihrer Basis zu verlieren. Deswegen waren die unteren Parteiebenen weitgehend autonom. Sie sollten die Amtsinhaber kontrollieren und über Urabstimmungen die wesentlichen Entscheidungen bestätigen. Alle Amtsinhaber mussten nach zwei Jahren zurücktreten. Dieses inzwischen abgeschaffte Rotationsprinzip sorgte für verfassungsrechtliche Diskussionen, da das Grundgesetz ein freies Mandat mit einer längeren Laufzeit vorsieht. Die Trennung von Amt und Mandat existiert jedoch bis heute.

 

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7. Grüne Erfolge

Die Wirkung der Grünen war in ihrem ersten Jahrzehnt sehr viel größer, als es die nur sporadischen Regierungsbeteiligungen vermuten ließen. Die ökologische Konkurrenz zwang die etablierten Parteien, die Umweltpolitik ernster zu nehmen. Die energische Reaktion auf das Waldsterben, die Einrichtung eines Umweltministeriums auf Bundesebene, die erfolgreiche Umweltpolitik Klaus Töpfers – all dies wäre ohne die neue Partei wohl kaum so passiert. Auch bei anderen Themen besaßen die Grünen eine enorme Ausstrahlung. Ohne die alternative Partei würden wir heute über Basisdemokratie, Frauenquote und Volksabstimmungen vermutlich anders denken.

 

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8. Bündnis 90 wird grün

In einer von den Grünen erstellten Chronologie wird auch die Eröffnung der Umweltbibliothek in der Ost-Berliner Zionskirche 1986 aufgeführt, da "aus deren Umkreis viele GründerInnen der Grünen Partei Ostdeutschlands kommen."[4] Tatsächlich bewegten sich nach der Wende in der DDR viele ostdeutsche Bürgerrechtler auf die Grünen zu, was schließlich 1993 zur Fusion mit der ostdeutschen Partei Bündnis 90 führte. Seither firmiert die Partei offiziell als "Bündnis 90 / Die Grünen". Allerdings bleiben die Wahlergebnisse im Osten deutlich schlechter als im Westen, nicht selten scheiterte die Partei hier bei Landtagswahlen an der Fünf-Prozent-Hürde. In Mecklenburg-Vorpommern schafften die Grünen sogar erst 2011 den Sprung in den Landtag. Seither sind die Grünen zum ersten Mal in ihrer Geschichte in allen Länderparlamenten vertreten.

 

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9. Macht als Testfall

Angetreten waren die Grünen als basisdemokratische Oppositionspartei, die von ihren politischen Überzeugungen auf keinen Fall abweichen wollte. Doch schon früh zeigte sich, dass dieses Konzept im politischen Alltag Probleme aufwarf: Die ersten rot-grünen Koalitionen auf Länderebene waren turbulent und kurz. Erst seit 1990 gab es in Niedersachsen ein rot-grünes Bündnis, das tatsächlich eine Legislaturperiode überlebte. Mühsam erlernten die Grünen, dass der politische Alltag eine gewisse Flexibilität erforderte. Die Basisdemokratie wurde nach und nach aufgeweicht, und als die Grünen 1998 in die Bundesregierung einrückten, verabschiedete sich die Partei sogar von ihrem radikalen Pazifismus. Unter dem grünen Außenminister Joschka Fischer nahm die deutsche Bundeswehr am Kosovo-Krieg teil, und ein chaotischer Sonderparteitag in Bielefeld gab ihm dafür Rückendeckung. Aber typisch grün: Fischers Gegenredner auf dem Bielefelder Parteitag, Hans-Christian Ströbele, sitzt noch immer für die Partei im Bundestag.

 

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10. Eine überraschende Partei...

Die Grünen sind seit ihren Anfängen zweifellos ruhiger und professioneller geworden. Aber auch in der jüngsten Vergangenheit erwies sich die Partei als unberechenbar – so etwa 2007, als die Basis gegen den Widerstand der Bundesführung einen Sonderparteitag über den Afghanistan-Einsatz erzwang. Die Zukunft der Grünen bleibt unsicher: 2009 erreichte die Partei zwar mit 10,7 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl, war damit aber letztlich nur fünftstärkste Partei. Zwei Jahre später erreichten die Grünen in Baden-Württemberg 24,2 Prozent der Wählerstimmen, und Winfried Kretschmann wurde zum ersten grünen Ministerpräsidenten. Im Oktober 2011 platzen in Berlin Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Zuversichtlich ist immerhin das 2002 verabschiedete Grundsatzprogramm der Partei. Dessen Titel lautet: "Die Zukunft ist grün."

 

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Verantwortlich für diesen Erinnerungsort: Amelie Tautor

 

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Empfohlene Zitierweise: Amelie Tautor, Erinnerungsort "Die Grünen", URL: http://www.umweltunderinnerung.de/index.php/kapitelseiten/oekologische-zeiten/87-die-gruenen.