26. Oktober 2012

Als ich im Juli in meinem Oberseminar vortrug, schaute ich mir zur Vorbereitung die Ergebnisse der Abstimmungen über unsere Erinnerungsorte an. Mit Freude stellte ich dabei fest, dass die große Mehrzahl unserer Erinnerungsorte tatsächlich als solche anerkannt wurde. Nur bei vier Erinnerungsorten überwog die Zahl der Negativvoten. Interessant war jedoch, dass zwei dieser Erinnerungsorte in Ostddeutschland langen: die Ost-Berliner Umweltbibliothek und der Freiberger Hüttenrauch. Im letzteren Fall mag man diskutieren, ob es nicht auch andere Gründe gab. Der Freiberger Hüttenrauch ist schließlich längst ein Problem der Vergangenheit, und seine Wahl war wohl auch ein wenig der privaten Obsession des Projektleiters geschuldet, der seine Promotion über Luftverschmutzungsprobleme schrieb. Aber bei der Umweltbibliothek kann man schon stutzen: Sie ist der ikonische Ort schlechthin des ostdeutschen Umweltprotests, der bekanntlich einen wesentlichen Beitrag zum Sturz des SED-Regimes leistete und damit wiederum die Wiedervereinigung ermöglichte. Ein Ort mithin, der nicht nur Umweltgeschichte, sondern auch deutsche Geschichte schrieb. Und dann gibt es keine Mehrheit, die den Ort als erinnerungswürdig einstuft?

Schlaglichtartig beleuchtet das Votum eine unbequeme Tatsache: Unser Denken über Umweltfragen ist immer noch stark von Traditionen der alten Bundesrepublik geprägt. In meinem jüngsten Buch habe ich über die Ursachen spekuliert: DDR-Traditionen hatten es im Zuge der Wiedervereinigung stets schwer, aber bei der Umweltbewegung kam erschwerend hinzu, dass die bundesdeutsche Umweltbewegung am Ende der achtziger Jahre ein Selbstbewusstsein in Überbreite besaß. Da blieb halt nicht viel mehr übrig.

All das ist wohlgemerkt nur eine Beobachtung und keine Bewertung. Erinnerungsstränge sind nun einmal kein Wunschkonzert. Vielleicht hätte es der deutschen Umweltbewegung durchaus genützt, stärker auf die ostdeutschen Brüder und Schwestern zu hören, so etwa beim Naturschutz. Vielleicht sind das aber auch Spekulationen im luftleeren Raum. Festzuhalten ist: Wenn es um die ökologische Erinnerung geht, scheint Deutschland immer noch ein geteiltes Land zu sein.

Vor wenigen Tagen ist der Erinnerungsort SAG/SDAG Wismut online gegangen. Auch hier ist die geteilte Erinnerung zu spüren: In der bundesdeutschen Atomdebatte kam nur ganz am Rande vor, dass Deutschland auch ein wichtiges Förderland für Uran war. Stattdessen redete man lieber über Gorleben und den GAU. Auch wichtige Themen – aber die strahlenden Altlasten in Ostdeutschland werden auch dann noch existieren, wenn der Gau als Erinnerungsort längst verblasst ist.

Von daher werde ich mit besonderem Interesse verfolgen, wie sich die Abstimmung bei der Wismut so entwickelt.