Kapitelübersicht - Entgrenzungen - Grenzen des Wachstums
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Wege der Erinnerung
Verwandte ThemenDas Umweltprogramm, Autofreie Sonntage, Der Erdgipfel von Rio
LiteraturDennis Meadows u.a., Die Grenzen des Wachstums. Der Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit. Reinbek bei Hamburg 1973.
Patrick Kupper, "Weltuntergangs-Visionen aus dem Computer." Zur Geschichte der Studie "Die Grenzen des Wachstums" von 1972, in: Frank Uekötter, Jens Hohensee (Hg.), Wird Kassandra heiser? Die Geschichte falscher Ökoalarme. Stuttgart 2004, S. 98-111.
Helga Nowotny, Vergangene Zukunft. Ein Blick zurück auf die "Grenzen des Wachstums", in: Michael Globig (Hg.), Impulse geben – Wissen stiften. 40 Jahre VolkswagenStiftung. Göttingen 2002, S. 655-694.
Fußnoten[1] Die Welt vom 15. Januar 1975.
[4] http://www.bundestag.de/dokumente/ textarchiv/2011/36131899_kw42_pa_ wachstumsenquete/index.html.
[5] Ernst Ulrich von Weizsäcker, Faktor Vier. Doppelter Wohlstand – halbierter Naturverbrauch. Der neue Bericht an den Club of Rome. München 1995.
[6] Donnella Meadows, Jørgen Randers, Dennis Meadows, Beyond the Limits. Confronting Global Collapse, Envisioning a Sustainable Future. Post Mills, Vt. 1992; dies., Limits to Growth. The 30-Year Update. White River Junction, Vt. 2004.
BildnachweisTitelbild der deutschen Taschenbuchausgabe. |
Im Herbst 2011 erzielte eine Suchanfrage für "Grenzen des Wachstums" mehr als 350 000 Ergebnisse. Schon das zeigt: Die gleichnamige Studie von 1972, die der Club of Rome vom einem Wissenschaftlerteam um den MIT-Forscher Dennis Meadows erstellen ließ, ist längst ein moderner Mythos geworden – ein Weltbestseller mit Millionenauflage, der in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurde. Schon 1975 titulierte die Zeitung Die Welt die "Grenzen des Wachstum" als "jenes Buch, das wie mit einem Paukenschlag die siebziger Jahre einleitete."[1] Das war umso bemerkenswerter, als die Ansichten über Korrektheit und Nutzen der Diagnose seit 40 Jahren weit auseinander gehen.
1. VorgeschichteEs war nicht zuletzt der Titel, der die Studie zu einem einschneidenden Ereignis machte. "Wachstum" war für die Menschen der frühen siebziger Jahre nämlich geradezu eine Grunderfahrung. Seit dem Zweiten Weltkrieg verzeichneten die Volkswirtschaften des Westens phänomenale Wachstumsraten, in der Bundesrepublik stieg das Bruttosozialprodukt von 1950 bis 1973 im Durchschnitt um 6,5 Prozent. Allerdings verlangsamte sich das Tempo in den sechziger Jahren, und 1966/67 erlebte die bundesdeutsche Gesellschaft ihre erste Rezession – aus heutiger Sicht eine kurze Episode ohne gravierende Folgen, aber für die Zeitgenossen eine einschneidende Erfahrung. Seither gab es eine unterschwellige Stimmung, dass man womöglich auf Krisenzeiten zusteuerte.
2. Der Club of Rome
Die "Grenzen des Wachstums" waren das erste greifbare Produkt des Club of Rome. Dieser war 1968 von dem italienischen Industriellen Aurelio Peccei und dem OECD-Direktor Alexander King als internationales Diskussionsforum für die Probleme der modernen Welt gegründet worden. Es ging also keineswegs nur um Umweltprobleme, sondern vielmehr um die großen Herausforderungen der Zeit und vor allem ihre inneren Zusammenhänge; der Club of Rome war einer der Pioniere des vernetzten Denkens. Am elitären Charakter des Zirkels konnte kein Zweifel herrschen: Mitglieder bedurften der Ernennung durch das Exekutivkomitee, und bis heute ist die Vollmitgliedschaft auf 100 Personen beschränkt. 1972 hatte der Club of Rome etwa 70 Mitglieder aus 25 Ländern.
3. Dennis Meadows, MIT
Man mag es rückblickend kaum glauben: Dennis Meadows war eine Notlösung. Eigentlich war der türkische Ökonom und Zukunftsforscher Hasan Ozbekhan als Leiter des Projekts „The Predicament of Mankind: Quest for Structured Responses to Growing World-wide Complexities and Uncertainties" auserkoren worden. Dessen ehrgeiziges Konzept traf jedoch bei den Auftraggebern auf Missfallen: Der Club of Rome wollte schnelle Ergebnisse, und die lieferten dann Dennis Meadows und sein Forscherteam. Nach nur anderthalb Jahren Arbeit waren die "Grenzen des Wachstums" druckfertig.
4. Computervisionen
Das Massachusetts Institute of Technology war seinerzeit nicht nur die wohl renommierteste technische Hochschule der Welt, sondern auch ein Zentrum der computergestützten Simulationstechnologie. Die Studie fiel in die Hochzeit von Kybernetik und Planungseuphorie: Mit aufwendigen Kalkulationen schien Zukunft berechenbar und gestaltbar zu werden. Das verlieh dem Projekt eine Aura, die wenige Jahre zuvor oder danach wohl nur bedingt eingestellt hätte. Die Zeit war tatsächlich reif für "Weltuntergangs-Visionen aus dem Computer".[2]
5. Umweltbewegte Zeiten
Die Studie erschien zu einem Zeitpunkt, als westliche Gesellschaften für Umweltfragen sensibilisiert waren. Um 1970 hatten viele Regierungen ihre ersten Umweltprogramme vorgestellt, und im Erscheinungsjahr 1972 fand in Stockholm der Umweltgipfel der Vereinten Nationen statt, der bis zum Erdgipfel von Rio 1992 der größte seiner Art bleiben sollte. Teilweise wurde auch schon mit finsteren Zukunftsszenarien argumentiert, allerdings mit großen Unterschieden: Während die Apokalypse im ökologischen Diskurs der Vereinigten Staaten bereits etabliert war, dominierte in der bundesdeutschen Umweltdebatte, noch stark von staatlichen Stellen geprägt, ein deutlich gedämpfterer Tonfall.
6. Erste Reaktionen
Die "Grenzen des Wachstums" lagen insofern im Schnittpunkt mehrerer wichtiger Entwicklungen, und die gut vernetzten Mitglieder des Club of Rome beförderten die Verbreitung noch einmal zusätzlich. Die Studie wurde dadurch gleich nach Erscheinen zu einem weltumspannenden Medienereignis und erhielt zum Beispiel 1973 den Friedenspreis des Börsenvereins des deutschen Buchhandels. Die Zustimmung war jedoch keineswegs ungeteilt. Der Spiegel brachte zum Beispiel eine skeptisch grundierte Besprechung, und so mancher wachstumsverliebter Ökonom reagierte mit wütender Kritik. Der heftige Widerstreit der Meinungen ließ allerdings auch erkennen, dass die Ansichten des Club of Rome niemanden kalt ließen.
7. Ölkrise
Die Ölkrise 1973/74 veränderte die Sicht auf die "Grenzen des Wachstums". Der folgenträchtige Anstieg des Ölpreises und die Knappheitsängste – in Deutschland symbolisiert durch die autofreien Sonntage – wirkten wie eine nachträgliche Ratifizierung der düsteren Szenarien. Seither galten die "Grenzen des Wachstums" als Warnung vor dem Erschöpfen der Erdölvorräte, obwohl die Studie in dieser Hinsicht keinerlei besonders Wissen reklamierte. Bei den Zahlenangaben über die verblieben Ölreserven orientierten sich die Forscher an den zeitgenössischen Schätzungen der Ölkonzerne. Auch sonst machte die Studie aus der Unschärfe der Prognose keinen Hehl: Die eigenen Aussagen hätten "im Sinne einer exakten Voraussage [...] keinen Aussagewert."[3]
8. Wachstum wird fragwürdig
Die "Grenzen", um die die Studie kreiste, waren vor allem die Grenzen exponentiellen Wachstums. Selbst niedrige Wachstumsraten ergaben auf Dauer astronomische Zahlen, treffend illustriert durch den Teich, auf dem sich die von Seerosen bedeckte Fläche jeden Tag verdoppelt: Noch an dem Tag, bevor die Seerosen den See vollständig überwuchern und alles Leben ersticken, war nur die Hälfte der Fläche bedeckt und scheinbar alles in Ordnung. Damit gab der Club of Rome das Startsignal für eine Wachstumsdebatte, die seither nicht mehr abgebrochen ist. Besonders symbolträchtig wurde diese Tradition erkennbar, als die vom Deutschen Bundestag einberufene Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" im Oktober 2011 Dennis Meadows nach Berlin einlud.[4]
9. Die Wette
Die Kontroverse um die "Grenzen des Wachstums" führte 1980 zu einer vielbeachteten Wette zwischen dem Wirtschaftswissenschaftler Julian Simon und dem Biologen Paul Ehrlich. Es ging um den Preis von fünf Metallen: Chrom, Kupfer, Nickel, Zinn und Wolfram. Würde deren Preis in den folgenden zehn Jahren steigen, wie Ehrlich mit Blick auf die prognostizierte Verknappung vermutete? Oder würde der menschliche Erfindergeist schon Wege aus der Krise finden, wie Simon postulierte? Die Wette hatte einen klaren Gewinner, denn 1990 lag der Preis für alle fünf Rohstoffe niedriger als zehn Jahre zuvor. Aber was bedeutete das? Waren die Erschöpfungsszenarien damit tatsächlich widerlegt, oder es sich lediglich um eine Laune der Marktentwicklungen? Rohstoffpreise waren schließlich Spielball vielfältiger Entwicklungen: Sie spiegelten Entdeckungen neuer Vorräte, Veränderungen der Nachfrage, Effizienzsteigerungen und vieles mehr. Der scheinbar so eindeutige Ausgang der Wette führte somit nicht zur Beilegung der Kontroverse, sondern eröffnete vielmehr die nächste Runde.
10. Fanal des Katastrophismus
Die Wette zwischen Ehrlich und Simon fand vor allem wegen ihrer eminenten Symbolhaftigkeit Beachtung. Hier prallte der ökologische Vordenker Ehrlich, mit dem sich seit seinem Buch "Die Bevölkerungsbombe" alarmistische Horrorszenarien verbanden, auf den fortschrittsgläubigen Simon, später Fellow des libertären Cato Instituts. So ging es letztlich um einen Streit zwischen Fortschrittsoptimismus und -pessimismus, der die ökologische Debatte seit den siebziger Jahren prägte. Stärker als andere soziale Bewegungen identifizierte sich die Umweltbewegungen mit Alarmrufen und Horrorszenarien.
11. Das Problem billiger Rohstoffe
Die "Grenzen des Wachstums" hatten für Knappheits- und Preisprobleme sensibilisiert. Aber auch billige Rohstoffe hatten ihre Tücken, und das nicht nur für die Menschen in den Förderländern, die sich häufig mit enormen Folgeproblemen konfrontiert sehen. Bei billigen Rohstoffen schwand der Anreiz, Ressourcen effizient zu nutzen. Besonders prägnant war dies beim Erdöl: Seit dem Verfall des Ölpreises Mitte der achtziger Jahre hatten es benzinsparende Modelle auf den Markt schwerer. Das Ergebnis war eine neue Generation großer Automobile mit hohem Spritverbrauch – und eine Debatte über Ökosteuern, um Rohstoffe künstlich zu verteuern.
12. Die Persistenz des Club of Rome
Der Club of Rome veröffentlichte 1974 seinen zweiten Bericht unter dem Titel "Menschheit am Wendepunkt". Seither ist die Problematik des Wirtschaftswachstums bei endlichen Ressourcen ein Leitthema des Club of Rome. so etwa 1995 mit der Studie "Faktor Vier", die Wege zu doppeltem Wohlstand bei halbiertem Ressourcenverbrauch diskutierte.[5] 1992 und 2004 veröffentlichten Dennis und Donella Meadows zusammen mit Jørgen Randers "Updates" zu den "Grenzen des Wachstums".[6] Keiner dieser Berichte entfaltete freilich das Echo des Originals – was noch einmal unterstrich, dass dessen fulminante Wirkung weniger in den wissenschaftlichen Erkenntnissen als in einem perfekten Timing lag.
13. Stolze Geldgeber
Hinter Dennis und Donella Meadows sowie dem Club of Rome verschwand zumeist ein dritter Akteur, ohne den die Studie vielleicht nie entstanden wäre. Die Finanzierung des Projekts übernahm nämlich die Stiftung Volkswagenwerk, die insgesamt knapp eine Millionen DM in das Projekt investierte. Die Bewilligung war durchaus ein Wagnis, denn in den eingeholten Gutachten fehlte es nicht an skeptischen Bemerkungen. Als die Studie weltweit Furore machte, war man entsprechend stolz, und das über den Tag hinaus. Zum 40-jährigen Jubiläum der "Grenzen des Wachstums" plant die VolkswagenStiftung eigene Veranstaltungen.
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