Entgrenzungen des Holzhandels
Kapitelübersicht - Entgrenzungen - Entgrenzungen des Holzhandels
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Wege der Erinnerung
Verwandte Themen
LiteraturBjörklund, Jörgen: Den nordeuropeiska timmergränsen i Sverige och Ryssland, Umeå 1998.
Grewe, Bernd-Stefan: Das Ende der Nachhaltigkeit? Wald und Industrialisierung im 19. Jahrhundert; in: Archiv für Sozialgeschichte 43 (2003), S. 61–79.
Lotz, Christian: Debating and Transforming Forestry. Economic and Ecological Issues of the Extension of the Timber Trade in the Baltic and North Sea Regions, 1850–1914; in: Winder, Gordon/ Dix, Andreas (Hg.): Trading Environments. Commercial Knowledge and Environmental Transformations [in Vorbereitung].
Östlund, Lars/ Turnlund, Erik: Floating Timber in Northern Sweden. The Construction of Floatways and Transformation of Rivers; in: Environment and History (2002) 8, S. 85–106.
Radkau, Joachim: Holz. Wie ein Naturstoff Geschichte schreibt, München (Oekom-Verlag) 2007.
Fußnoten[1] Åström, Sven-Erik: From Tar to Timber. Studies in Northeast European Forest Exploitation and Foreign Trade 1660–1860, Helsinki 1988; Björklund, Jörgen: Den nordeuropeiska timmergränsen i Sverige och Ryssland, Umeå 1998; Sejersted, Francis: Veien mot øst; in: Langholm, Sievert/ Sejersted, Francis (Hg.): Vandringer, Oslo 1980, S. 163–204.
[4] Vgl. exemplarisch Anonym: Europas Trælastforraad; in: Farmand. Norsk Forretningsblad, Nr. 39, 30. September 1911, S. 717–719; Friedrich, Ernst: Wesen und geographische Verbreitung der „Raubwirtschaft"; in: Petermanns Geographische Mitteilungen, 50 (1904), S. 68–79 und 92–95.
BildnachweisVorrücken und Zurückweichen der "timberfrontier" im Nord- und Ostseeraum seit dem 18. Jahrhundert. Vereinfachte Darstellung. Kartographie: Christian Lotz (2013). |
Seit dem 19. Jahrhundert ließen Bevölkerungswachstum und Industrialisierung den Verbrauch von Rohstoffen rasch ansteigen. Dies galt nicht nur für Kohle und Eisenerze, sondern auch für Holz. Die steigende Nachfrage nach Holz führte dazu, dass Holzfäller, Flößerei und Sägewerke immer weiter in die Waldgebiete Nord- und Osteuropas vordrangen, um verwertbares Holz einzuschlagen und in die Zentren industriellen Wachstums nach West- und Mitteleuropa zu exportieren. Dieses Vordringen ist mit dem englischen Begriff "timberfrontier" beschrieben worden, zu Deutsch etwa "Nutzholz-Grenze".
1. Wirtschaftsgeschichtlicher Hintergrund
Das Vordringen der "timberfrontier" ist ein vielschichtiger Prozess, dessen Anfänge bereits in der frühen Neuzeit zu suchen sind. Mit der Entstehung von weltumspannenden Handelsverflechtungen und Imperien wuchs bei den westeuropäischen Kolonialmächten der Bedarf an Holz, anfangs vor allem für den Schiff- und Städtebau, seit dem 19. Jahrhundert auch für Grubenholz, Schienenschwellen und vieles mehr. Um diesen Bedarf zu decken, bezogen Großbritannien, Frankreich und die Niederlande schon seit dem 17. Jahrhundert Holz aus Skandinavien, aus dem Baltikum und aus Mitteleuropa. War in einer Region eine begehrte Holzart nicht mehr zu haben, zogen Holzfäller und Händler weiter. Stark vereinfacht dargestellt, schob sich die "timberfrontier" im Nord- und Ostseeraum langsam von West nach Ost bzw. Nordost vor. Die Bewegung der "timberfrontier" ist somit nicht nur ein Aspekt der Holzhandelsgeschichte, sondern ebenso ein wirtschafts- und umweltgeschichtlicher Teil der Aufstiegsgeschichte der Kolonialmächte und der Industrialisierung in Europa.[1]
2. Transport und Handelswege
Das Vorrücken der "timberfrontier" ist von zahlreichen Einflussfaktoren geprägt. So hing und hängt die Bewegungsrichtung und -geschwindigkeit der "timberfrontier" insbesondere von den Transportmöglichkeiten, von wirtschaftlichen Konjunkturen und von der Preis- und Zollentwicklung ab. Der Transport von Holz ist ein aufwändiges Unterfangen, da Holz ein schweres Handelsgut ist. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ließen sich große Holzmengen nur auf dem Wasserweg über weite Entfernungen transportieren. Die Bewegung der "timberfrontier" hing also hauptsächlich von den hydrographischen Gegebenheiten ab: In einer Region, die über Flüsse und einen ausgebauten Seehafen erschlossen war, rückte die "timberfrontier" schneller voran, als in "unerschlossenen" oder schwer zugänglichen Regionen. Im Landesinneren hatte der Handel mit großen Holzmengen daher bis ins 19. Jahrhundert hinein auch nur eine Verkehrsrichtung, und zwar talwärts auf flößbaren Flüssen. Mit der Ausbreitung der Eisenbahn seit Mitte des 19. Jahrhunderts und mit der Entwicklung von Lastkraftwagen seit dem frühen 20. Jahrhundert eröffneten sich neue Möglichkeiten. Nun war Holztransport nicht mehr nur talwärts auf Flüssen, sondern in jede beliebige Richtung möglich, sofern Schienen oder Straßen vorhanden waren. Die Bewegung der "timberfrontier" hing nun nicht mehr allein von flößbaren Flüssen ab, sondern vom Ausbau des Schienen- und Straßennetzes.
3. Konjunkturen und Krisen
Neben den Verkehrsbedingungen bestimmten wirtschaftliche Konjunkturen und Krisen die Bewegung der "timberfrontier". In Zeiten wirtschaftlicher Krise mochte ein rasches Vordringen der Holzfäller nicht lohnend erscheinen, da ein Absatz des eingeschlagenen Holzes unsicher war. Konjunkturen hingegen versprachen verlockende Gewinne und ließen die "timberfrontier" rasch vordringen. Das Auf und Ab in den Holzimport-Statistiken Großbritanniens oder des Deutschen Reichs am Ende des 19. Jahrhunderts ist somit auch ein indirekter Anzeiger für die Bewegungsgeschwindigkeit der "timberfrontier" in Skandinavien und Russland.[2]
4. Nachhaltigkeit auf Kosten anderer
Die "timberfrontier", die sich in den deutschen Mittelgebirgen seit Jahrhunderten langsam voranbewegt hatte, kam seit den 1860er Jahren langsam zum Halten. Der wachsende Holzbedarf für die Industrialisierung in den deutschen Ländern wurde durch nordeuropäische Importe befriedigt, während viele deutsche Waldbesitzer plötzlich über Absatzschwierigkeiten klagten. Die oft wiederholte These, der Wald in Deutschland konnte durch die Nutzung von Kohle als Brennstoff "gerettet" werden, ist daher kurzsichtig und ignoriert überregionale Zusammenhänge. Denn die Kohleförderung ihrerseits verschlang Unmengen an Holz für den Vortrieb der Stollen (Grubenstempel) und für den Ausbau des Transportnetzes (Schienenschwellen, Eisenbahnwaggons usw.). Der Großteil dieses Holzes wurde aus Nordeuropa importiert. Zugespitzt ließe sich formulieren: Dass so umfangreiche Waldflächen in Deutschland die Phase der Industrialisierung überlebten, lag auch daran, dass statt deutschen Wäldern nordeuropäische Wälder abgeholzt wurden. Nachhaltiger Betrieb in deutschen Wäldern, auf den die deutsche Forstwirtschaft auch im 20. Jahrhundert noch stolz verwies, war seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nur auf Kosten nordeuropäischer Wälder möglich.[3]
5. Raubbau?
Jede "timberfrontier" hat eine zeitliche Dimension. Wenn genügend Zeit vergeht und wenn Boden und Klima es zulassen, kann eine gerodete Fläche erneut mit Wald bewachsen sein, so dass eine "timberfrontier" mehrmals über eine Region hinweggehen kann. Dies unterscheidet die "timberfrontier" von den Grenzen endlicher Rohstoffe, wie etwa Erze, die man nur einmal aus dem Boden herausholen kann.
6. Die "timberfrontier" erreicht die Köpfe
Fernhandel mit Holz war seit der Frühen Neuzeit ein lebendiger Wirtschaftszweig in all jenen Regionen, die das Handelsgut Holz auf dem Wasserweg in großen Mengen transportieren konnten. Waldbesitzern und Exporteuren im Nord- und Ostseeraum war dies ebenso bewusst wie den Importeuren, insbesondere in Großbritannien und in den Niederlanden. In Regionen ohne größere flößbare Wasserwege, etwa in Teilen der deutschen Mittelgebirge, spielte Fernhandel mit Holz eine untergeordnete oder gar keine Rolle. Im Gegenteil, in forstwirtschaftlicher Hinsicht war das Bewusstsein der Zeitgenossen auf eine nachhaltige Nutzung der vorhandenen Wälder für den lokalen Bedarf orientiert. Dabei war es unerheblich, ob diese nachhaltige Nutzung auf überlieferten Erfahrungswerten zur Waldnutzung beruhte, ob sie durch Forstbehörden angeordnet und überwacht wurde, oder ob nachhaltige Nutzung ein Ergebnis gemeinschaftlich ausgehandelter Regeln war.
7. Politische Reaktionen
Im Verlauf des 18., 19. und 20. Jahrhunderts lassen sich verschiedene Reaktionen auf das Vorrücken der "timberfrontier" beobachten. Teilweise sind diese Reaktionen in anderen Zusammenhängen entstanden und gingen daher nicht notwendig aus einem Bewusstsein für das Vorrücken einer "timberfrontier" hervor, wohl aber aus dem Bewusstsein für den – besonders seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts – stark steigenden Holzverbrauch. Zu den Reaktionen gehören in den nord- und osteuropäischen Ländern die Debatten um eine vermeintliche oder tatsächliche Abnahme der landeseigenen Waldflächen. Diese Debatten und daran geknüpfte Gesetzesvorschläge zum Schutz des Waldes kehrten seit dem 18. Jahrhundert in einer Art Wellenbewegung immer dann wieder, wenn wirtschaftliche Konjunkturen die Nachfrage nach Holz stark steigen ließen.
8. Die "timberfrontier" der Gegenwart
Auch in der Gegenwart bezieht Deutschland den größten Anteil seiner Holzimporte aus Nord- und Osteuropa, wobei gemessen am Warenwert Schweden mit 2,8 Mio. USD (2010) den größten Anteil ausmacht. Seit den späten 1990er Jahren wächst der Anteil der Holzimporte aus Südamerika, wie etwa aus Brasilien (Importe nach Deutschland 2010 im Wert von 0,19 Mio. USD). Die Entwicklungen seit den 1990er Jahren sind – ökologisch gesehen – vor allem von zwei Problemen begleitet: Die auf viele Wirtschaftszweige bezogene Forderung nach Privatisierungen hat seit 1989 in den Ländern Ostmittel- und Osteuropas auch Teile der staatlichen Forstbetriebe erfasst. Ein Problem ist hier die Aufrechterhaltung des Brandschutzes in privaten Wäldern, so dass jährlich große Flächen durch Feuer vernichtet werden. In Südamerika geht die stärkere wirtschaftliche Nutzung der Wälder in vielen Fällen mit einer Veränderung der Öko-Systeme einher, indem vorhandene Wälder in Monokulturen aus schnellwachsenden Eukalyptus-Bäumen zur Papierherstellung umgewandelt werden. Hier rückt die "timberfrontier" also räumlich nicht voran, transformiert aber die Ökologie der betroffenen Region.
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Empfohlene Zitierweise: Christian Lotz, Erinnerungsort "Entgrenzungen des Holzhandels", URL: http://www.umweltunderinnerung.de/index.php/kapitelseiten/entgrenzungen/132-entgrenzungen-des-holzhandels.