Die Grote Mandrenke
Kapitelübersicht - Vormoderne Umwelten - Die Grote Mandrenke
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Wege der Erinnerung
Verwandte ThemenBußwallfahrt zur Mutter Gottes, Kleine Eiszeit
LiteraturManfred Jakubowski-Tiessen, Gotteszorn und Meereswüten. Deutungen von Sturmfluten vom 16. bis 19. Jahrhundert, in: Dieter Groh; Michael Kempe; Franz Mauelshagen (Bearb.), Naturkatastrophen. Beiträge zu ihrer Deutung, Wahrnehmung und Darstellung in Text und Bild von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. Tübingen 2003, S. 101-118.
Bernd Rieken, Nordsee ist Mordsee. Sturmfluten und ihre Bedeutung für die Mentalitätsgeschichte der Friesen. Münster et al. 2005.
Website der Gesellschaft für Schleswig-Holsteiner Geschichte; URL: http://www.geschichte-s-h.de/vonabisz/sturmflut.htm.
Fußnoten[1] Vgl. Bernd Rieken, Nordsee ist Mordsee. Sturmfluten und ihre Bedeutung für die Mentalitätsgeschichte der Friesen. Münster et al. 2005, S. 64-66.
[4] Website der Gesellschaft für Schleswig-Holsteiner Geschichte; URL: http://www.geschichte-s-h.de/vonabisz/sturmflut.htm; aufgerufen am 19.10.2011, 14:47).
[5] Vgl. Bernd Rieken, Nordsee ist Mordsee. Sturmfluten und ihre Bedeutung für die Mentalitätsgeschichte der Friesen. Münster et al. 2005, S. 169-172.
BildnachweisHeußberg, Erschreckliche Wasser-Fluth, Kupferstich. Quelle: Everhardi Guerneri Happelii [Eberhard Werner Happel], Größte Denkwürdigkeiten der Welt, 5 Bde, Hamburg 1683, Bd. 1, S. 262. |
Als Grote Mandrenken (auch Mandränken) bezeichnet man zwei Sturmfluten, die sich 1362 und 1634 entlang der norddeutschen Küste ereigneten und vor allem im heutigen Schleswig-Holstein zu schweren Verwüstungen und einer permanenten Veränderung der Küstenlinie führten. Bewohnte Inseln gingen unter, Priele verwandelten sich in Meeresbusen und die Küstenlinie wurde bis an die Geest zurückgedrängt. Beide Naturkatastrophen ereigneten sich zu einer Zeit, als der Deichbau im Nordseeraum fortgeschritten war und sich Menschen permanent in flutgefährdeten Gebieten niedergelassen hatten. Als Folge dessen ging vor allem die erste Mandrenke in Form mahnender Sagen als Gottesstrafe in das nordfriesische Gedächtnis ein.
1. VorgeschichteDer Küstenverlauf der Nordsee hat sich im Verlauf der letzten Jahrtausende stark verändert: Lag der Meeresspiegel während der letzten Eiszeit noch ca. 100 m niedriger als heute, stieg er im Zuge des Abschmelzens großer Eismassen im Holozän kontinuierlich an. So wurde um 6000 v. Chr. Großbritannien vom Festland getrennt und der Golfstrom sorgte nun auch in Mitteleuropa für ein milderes und feuchteres Klima. Die beiden Gezeitenflutwellen des Golfstroms, die nun über den englischen Kanal und Schottland in die Nordsee gelangten, konnten sich entweder gegenseitig verstärken oder abschwächen.
2. Der Deichbau an der Nordsee
Der Deichbau lässt sich im Nordseeraum seit dem 11. Jh. nachweisen und war eine Reaktion auf erneut steigende Meeresspiegel. Die ersten Deiche waren ringförmige Sommerdeiche, die Äcker und Wiesen im Sommer für Überflutungen schützten. Mit der Zeit wurden diese Ringdeiche aber miteinander verbunden und es entstand bis zum 13. Jh. ein zusammenhängender Seedeich entlang der Nordseeküste, dessen Höhe auch gegen Winterfluten schützen sollte. Der Historiker Bernd Rieken erklärt diesen beeindruckenden Arbeitsaufwand mit dem mittelalterlichen Städtewachstum, das eine Intensivierung der Landwirtschaft erforderte und so mehr Geld für den Deichbau zum Schutz der Küstengebiete einbrachte. Durch den Deichbau zum Schutz der Ländereien wurden kleine Handelshäfen von der Nordsee abgeschnitten, was wiederum zum Wachstum der Tiefseehäfen in Emden, Bremen und Hamburg und der Entstehung von Handelswegen entlang der Deichkronen führte.[1]
3. Sturmfluten an der Nordsee
Von einer Sturmflut spricht man an der Nordsee, wenn das Wasser an der Küste um mehr als einen Meter über den mittleren Tidehochwasserstand steigt. Heftige Sturmfluten können entstehen, wenn Mond und Sonne in einer Achse zur Erde stehen (besonders bei Neu- und Vollmond) und sich ihre Gravitationskräfte zu einer besonders hohen Flut – der Springflut – addieren. Wenn zusätzlich zur Springflut ein starker und andauernder Wind das Wasser die Küste empor drückt, besteht eine erhebliche Sturmflutgefahr. Bei einer Flut, die das mittlere Tidehochwasser um zwei Meter übersteigt, spricht man von einer schweren Sturmflut, bei drei Metern über dem mittleren Tidehochwasser von einer sehr schweren Sturmflut.[2] Im Mittelalter und in der Neuzeit wurden Sturmfluten nach den Schutzheiligen der entsprechenden Tage benannt. Besonders in Nordfriesland – der Westküste des heutigen Schleswig-Holsteins – verursachten Sturmfluten zu dieser Zeit erhebliche Schäden durch das Fehlen sturmbrechender Inseln vor der Küste.
4. Die erste Grote Mandrenke
Die erste Grote Mandrenke ereignete sich am 16. Januar 1362 entlang der Deutschen Bucht. Auch als zweite Marcellusflut bekannt, war die Mandrenke eine der verheerendsten Sturmfluten in der nordfriesischen Geschichte und tilgte neben dem legendären Rungholt eine Vielzahl anderer Siedlungen von der Landkarte. Die Flut durchbrach die damalige Küstenlinie, die sich – von Prielen durchbrochen – von Sylt nach Eiderstedt erstreckte und überflutete die zerklüfteten Marschen (Utlande) bis zum Geeststrand. Von der ursprünglichen Küstenlinie blieben einige Halligen und die Inseln Sylt, Amrum, Föhr mit Geest und Marsch und die inzwischen zweigeteilte Insel Strand übrig.[4]
Obwohl es keine direkten Augenzeugenberichte der ersten Mandrenke gibt, zeugen die Sagen um den untergegangen Ort Rungholt und wiederholte Berichte über Siedlungsreste im Watt von der enormen Zerstörung durch diese Flut.
5. Die zweite Grote Mandrenke
Die zweite Grote Mandrenke (auch Burchardiflut genannt) ereignete sich am 11. Oktober 1634 und traf erneut die nordfriesische Küste am härtesten. Dabei war die zweite Mandrenke nur eine von ca. 120 schadensbringenden Sturmfluten zwischen 1501 und 1699, die im Zuge der Kleinen Eiszeit auf die deutsche Nordseeküste prallten. Es ist daher anzunehmen, dass die neuzeitlichen Deiche mit ihren ca. 2 Meter hohen hölzernen Seewänden durch frühere Fluten geschwächt waren. Auch der damals wütende Dreißigjährige Krieg mit seinen Hungersnöten, Verwüstungen und Seuchenausbrüchen dürfte die Deichwartung und die Standhaftigkeit der Nordseeeinwohner beeinträchtig haben – so besetzten Wallensteins Truppen seit 1627 Nordfriesland und forderten schwere Tribute.
6. Zeitgenössische Deutungen der Flut
Das Meer war bis in die Neuzeit hinein ein gefürchtetes Terrain und wurde von Zeitgenossen vornehmlich mit krankheitserregenden Ausdünstungen und fürchterlichen Nebeln und Stürmen assoziiert. Obwohl Küstenbewohner empirisches Wissen über die Bedeutung schwenkenden Windes, die Regelmäßigkeit der Gezeiten und die Korrelation besonders hoher Fluten mit einem Voll- oder Neumond besaßen, konnten sie sich diese Abläufe nicht naturwissenschaftlich erklären. Stattdessen griffen sie auf tradierte Deutungsmuster zurück und so verwundert es nicht, dass katastrophale Sturmfluten wie die beiden Groten Mandrenken vorrangig als Strafen Gottes für menschliches Fehlverhalten interpretiert wurden:
7. Die Sage von Rungholt
Im Fall der beiden Mandrenken bildeten sich eine Vielzahl von Sagen, die sich um läutende Glocken aus der Tiefe des Meeres, Überreste im Watt und die Sündhaftigkeit der bestraften Opfer rankten. Eine solche Straflegende rankt sich auch um die Ortschaft Rungholt, das während der ersten großen Mandrenke unterging: In Rungholt sollen betrunkene und lästerliche Bauern am Abend vor der Sturmflut versucht haben, den örtlichen Pfarrer dazu zu bringen, ein betrunkenes Schwein zu segnen, indem sie es unter einer Decke versteckten und vorgaben, ein Sterbender liege darunter. Als der Pfarrer den Betrug aufdeckte und sich weigerte, das Schwein zu segnen, sollen ihn die Bauern gedemütigt und geschlagen haben, woraufhin sich dieser mit drei frommen Jungfrauen betend in seine Kirche zurückzog. In der Kirche hörte er daraufhin eine Stimme, die ihm befahl, sich mit den seinen auf das höher gelegene Südfall zurückzuziehen – der Pfarrer folgte dem Rat, während das sündige Rungholt in der selben Nacht vom Erdboden getilgt wurde.
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