Der Freiberger Hüttenrauch
Kapitelübersicht - Verschmutzte Natur - Der Freiberger Hüttenrauch
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Wege der Erinnerung
Verwandte ThemenDas Waldsterben, Nachhaltige Waldwirtschaft, Das Ruhrgebiet
LiteraturArne Andersen, Franz-Josef Brüggemeier, Gase, Rauch und Saurer Regen. In: Franz-Josef Brüggemeier/ Thomas Rommelspacher, Besiegte Natur. Geschichte der Umwelt im 19. Und 20. Jahrhundert. München 1987, S. 64-85.
Arne Andersen / Rene Ott / Engelbert Schramm, Der Freiberger Hüttenrauch 1849-1865. Umweltauswirkungen, ihre Wahrnehmung und Verarbeitung. In: Technikgeschichte 53 (1986), S. 169–200.
Franz-Josef Brüggemeier, Das Unendliche Meer der Lüfte. Luftverschmutzung, Industrialisierung und Risikodebatten im 19. Jahrhundert. Essen, 1996.
Uekötter, Frank, Von der Rauchplage zur ökologischen Revolution. Eine Geschichte der Luftverschmutzung in Deutschland und den USA 1880 – 1970. Essen, 2003.
Gerd Spelsberg, Rauchplage. 100 Jahre saurer Regen. Aachen 1984.
Fußnoten[1] Petition von 14 Bürgern und dem Gemeindevorstand von Halsbrücke an die Amtshauptmannschaft in Freiberg vom 18.5.1845, zit. nach Andersen, Arne. Historische Technologiefolgenabschätzung. Das Beispiel des Metallhüttenwesens und der Chemieindustrie. In: Werner Abelshauser (Hrsg.). Umweltgeschichte. Umweltverträgliches Wirtschaften in historischer Perspektive. Göttingen 1994, 81.
BildnachweisDie Halsbrückener Esse heute (Foto: Britta Voith von Voithenberg). |
Fast 60 Jahre lang wütete im Freiberger Bergbaugebiet der Streit zwischen den Metallhütten in den Ortsteilen Halsbrücke bzw. Mulden und den benachbarten Landwirten: Streitgrund war die schädliche Wirkung des Hüttenrauchs auf Vieh und Vegetation des Hüttenumlandes. Es entbrannte eine lebhafte Diskussion um die Wirkung des Hüttenrauchs, die in vielerlei Hinsicht den Umgang mit Rauch- und Luftverschmutzungsproblemen bis spät in das 20. Jahrhundert prägte. Bemerkenswert war die Vielzahl der teilnehmenden Akteure: neben der Hüttenleitung, der sächsischen Regierung und den klagenden Landwirten waren zahlreiche Gutachter und Kommissionen an der Diskussion beteiligt. Auch die wissenschaftlich-technischen Untersuchungs- und Lösungsansätze nahmen eine Pionierrolle in Luftverschmutzungsfragen ein.
1. VorgeschichteIn Freiberg wurde schon seit 1168 Erz verarbeitet: vorwiegend Silber, aber auch Blei, Kupfer, Zink, Zinn und Arsen. Die Öfen für die Erzverhüttung wurden bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts mit Holz betrieben [Verweis Erinnerungsort Nachhaltige Waldwirtschaft]. Im 18. Jahrhundert waren die sächsischen Hütten allmählich in staatlichen Besitz übergegangen. Schon früh nahm Freiberg eine Führungsrolle im deutschen Bergbau ein, die sich nicht nur in technischer Innovationskraft, sondern auch in der Entstehung einer Bildungsinstitution manifestierte, die sich wissenschaftlich mit dem Bergbau befasste: der 1765 gegründeten Bergakademie Freiberg. Belastungen und Zerstörungen der Landschaft gingen von Anfang an mit dem Hüttenbetrieb einher. So befasste sich schon der Renaissance-Gelehrte und Mineraloge Georg Agricola in seinem De re metallica (1530) mit den schädlichen Wirkungen der schwefligen Säure – die neben der Erzverhüttung auch bei der Steinkohleverbrennung entsteht – und mit entsprechenden Gegenmaßnahmen.
2. Der Rauch nimmt Überhand
Unter dem Konkurrenzdruck anderer Erzbaugegenden wurden in Freiberg 1844 neue Öfen und die Steinkohle als Energieträger eingeführt. Dies führte zu einer sprunghaften Produktionssteigerung und in der Folge zu einem starken Anstieg der Schadstoffbelastung durch schweflige Säure. Die Schäden an Flora und Fauna im Umkreis der Hütte waren so gravierend, dass sich die umliegenden Landwirte zum Handeln gezwungen sahen. Schon 1845 richtete der Halsbrücker Gemeindevorstand eine Petition an die Leitung der Halsbrücker Metallhütte, die eine Entschädigung für die Wirkung des Hüttenrauchs forderte: Angesichts eines "solchen totalen Schaden[s]" gingen die Anwohner "allmälig der Verarmung entgegen".[1] So zeigte sich im Fall Freiberg schon früh ein Bewusstsein für die schädlichen Nebenwirkungen der Industrialisierung.
3. Die Stunde der Naturwissenschaften
Die Hüttenleitung weigerte sich zunächst, Entschädigungen zu zahlen. Als die Klagen nicht nachließen, beauftragte sie aber 1849 den Gutachter und Agrarchemiker Adolph Stöckhardt (1809-1886) von der benachbarten Forstlichen Hochschule Tharandt damit, die genaue Wirkung des Hüttenrauchs auf die umliegende Vegetation zu ermitteln. Stöckhardt wies daraufhin zum ersten Mal in der deutschen Rauchschadensforschung nach, dass neben der schädlichen Einwirkung von Blei, Salzsäure- und Arsenikdämpfen die Schwefelsäure "es vorzugsweise ist, welche dem Halsbrückner Hüttenrauche seine beizende Kraft erteilt."[2] Das von Stöckhardt beschriebene Phänomen ist heute als saurer Regen bekannt. Stöckhardt profitierte in seinem Gutachten von den Erkenntnissen der noch jungen Naturwissenschaften bezüglich der Luft- und Rauchbestandteile. Schon 1828 hatten die englischen Wissenschaftler Turner und Christison schweflige Säure als Schadensfaktor für Organismen identifiziert und teilweise erforscht. Auch die Vorstellung eines direkten Zusammenhangs zwischen Gestank und Schädlichkeit hatte sich zugunsten der Erkenntnis aufgelöst, dass schädliche Stoffe auch geruch- und farblos sein konnten.
4. Der Gutachterstreit
Stöckhardts Gutachten zur Wirkung des Hüttenrauches von 1849 markierte den Anfang einer langen Folge wissenschaftlicher Versuche und Gutachten, die aus immer neuen Klagen der Anwohner resultierten. Das Gutachterwesen entwickelte sich zu einer hoch spezialisierten Gruppe von Experten, die nicht persönlich in den Konflikt involviert waren, sondern als "neutrale" dritte Instanz fungierten. Unter anderem hatte dies jedoch auch zur Folge, dass die Freiberger Diskussion in einem sehr kleinen Kreis geführt wurde, der sich der Öffentlichkeit großteils entzog. Diese Tendenz setzte sich bis spät ins 20. Jahrhundert fort. Erst das Waldsterben brachte diese Debatte ins Rampenlicht der Öffentlichkeit.
5. Lösungsansätze
Die Hüttenleitung sah die Verantwortung für die Vermeidung von Schäden nicht allein bei sich: Es wurde argumentiert, auch die Bauern könnten durch eine Veränderung ihrer Wirtschaftsweise – zum Beispiel durch Zufütterung oder einen Wechsel der angebauten Feldfrüchte – die Schäden minimieren. Trotzdem unternahm die Hüttenleitung zahlreiche Versuche, technische Lösungen für die Rauchproblematik zu finden, die an verschiedenen Stufen der Produktion ansetzten. Einfach zu realisierende Veränderungen der Produktionsverfahren wurden dabei besonders zügig umgesetzt – sofern sie finanziell vorteilhaft waren. So wurde zum Beispiel versucht, die Schwefelsäure aus dem Rauch herauszufiltern und als Rohstoff zu gewinnen. Moderne Öfen sowie die Zurückhaltung von Flugstaub und Schwermetallen durch eine Abkühlung des Rauches bewirkten ebenfalls Verbesserungen. Auch wenn sie ob der dauerhaften Produktionssteigerung keine dauerhafte Entlastung erbrachten, bewirkten solche Verbesserungen doch eine Entschärfung des Konflikts mit den Anwohnern. Umfassendere Lösungsansätze der Emissionsproblematik erwiesen sich jedoch als zu kostspielig, unwirtschaftlich, oder technisch nur begrenzt umsetzbar (wie etwa die frühen Verfahren zur Rauchgasentschwefelung).
6. Die hohe Esse
Der Bau eines höheren Schornsteins, der den Rauch weiter hinaus blasen und damit besser verdünnen sollte, schien für die Freiberger Hüttenleitung schließlich die einzige praktikable Lösung für die Emissionsprobleme zu sein. Das war zwar kostspielig, aber günstiger als andere Optionen wie ein Umbau des gesamten Hüttenbetriebs. Die erste, 60 Meter hohe Esse wurde 1860 gebaut, doch die Probleme hörten damit nicht auf. Der Rauch verteilte sich zwar besser, machte aber dadurch das Schadensgebiet nur größer, so dass der Schornstein drei Jahre später wieder stillgelegt wurde. 1889 wurde ein zweiter Versuch gestartet und eine 140 Meter hohe Esse gebaut, die lange Zeit die höchste Deutschlands war. Diese sollte nun endgültig den Rauch so verdünnen und über das Tal abziehen lassen, dass die Schäden minimiert wurden. Tatsächlich wurden die Schäden in der unmittelbaren Umgebung wesentlich vermindert, aber dafür kamen ab 1895 Klagen aus bis zu zehn Kilometer entfernten Gebieten. Die Hüttenbetreiber vertraten jedoch die Ansicht, dass es besser sei, kleinere Schäden auf einer größeren Fläche zu haben, als schwere Schäden nur in der unmittelbaren Umgebung der Hütte. Schornsteine von bis zu 300 Metern Höhe blieben bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts die bevorzugte Lösung für industrielle Rauchprobleme.
7. Entschädigungszahlungen
Immer wieder griff der sächsische Staat, der die Freiberger Hütten betrieb, auch auf Entschädigungszahlungen zurück, um den Klagen der Anwohner zu begegnen. Da Schadensfälle lange Zeit einzeln behandelt wurden, um Pauschalzahlungen zu vermeiden, wurde eine Kommission eingerichtet, die vor Ort die einzelnen Klagen untersuchen und außerdem kontrollieren sollte, ob die Kläger ihrerseits die empfohlenen Maßnahmen zur Schadensvermeidung umsetzten. Der Rechtsstreit der Anwohner litt auch an dem Problem, dass Klagen teilweise unsicher begründet oder übertrieben waren; manche "Rauchbauern" versuchten, den größtmöglichen Vorteil aus der Rauchbelastung zu ziehen. Solche Fälle nutzten wiederum der industriellen Seite, um auch berechtigte Klagen zu verwerfen und Entschädigungsansprüche von Betroffenen klein zu halten. 1873 wurde den Klägern eine einmalige Ablösungszahlung geboten, die von den meisten auch angenommen wurde. Auch bei späteren Klagen verlegte man sich auf Entschädigungszahlungen, da diese für die Hütten immer noch eine der wirtschaftlicheren Lösungen waren.
8. Forstwirtschaft und Nachhaltigkeit
Das ausgehende 18. Jahrhundert war auch in Deutschland zunehmend von der Entstehung eines kapitalistischen Wachstumsdenkens geprägt, das Natur zunehmend als bloße Ressource wahrnahm. Gleichzeitig entstand jedoch auch ein wachsendes Abhängigkeitsbewusstsein von natürlichen Rohstoffen, das sich durch zahlreiche Holznotalarme begünstigt in der Entwicklung eines Nachhaltigkeitsdenkens und den ersten Aufforstungsbewegungen niederschlug [Verweis Erinnerungsort Nachhaltige Waldwirtschaft]. Es ist bezeichnend, dass einer der Begründer des forstwirtschaftlichen Nachhaltigkeitsbegriffs der Freiberger Hans Carl von Carlowitz (1645-1715) war. Genauso wenig ist es ein Zufall, dass Adolf Stöckhardt von der Forstwissenschaftlichen Akademie in Tharandt kam. Wie die Holznotdebatten schon belegen, ging die Genese der forstwissenschaftlichen Forschung oft mit Energie- und Ressourcenproblematiken sowie mit der fortschreitenden Industrialisierung einher.
9. Umweltbewusstsein?
Der Freiberger Fall macht deutlich, dass gerade in der frühindustriellen Zeit die Gesellschaft dem Industralisierungsprozess durchaus nicht immer positiv gegenüber stand. Da sie neu waren, wurden damit einhergehende Probleme aufmerksam und oft sogar schärfer wahrgenommen als später. Negative Folgen der Industrialisierung führten immer dort zu lebhaften Konflikten, wo sie die Menschen direkt betrafen, spürbar oder sichtbar waren oder zu finanziellen Nachteilen führten. Dies kann jedoch nicht mit dem modernen Verständnis von Umweltbewusstsein gleichgesetzt werden. Der finanzielle Aspekt, und nicht das Ziel von Nullemissionen oder Naturschutz, stand für die Hüttenleitung wie auch für die klagenden Bauern im Vordergrund. Von einer Stilllegung der Produktion oder einer Rückkehr zum Stand von 1845 konnte nicht die Rede sein, da einerseits die Kläger größtenteils selbst in den Hütten beschäftigt waren und andererseits der Bergbau einer der Hauptträger der sächsischen Wirtschaft war. Lösungen zur Emissionskontrolle wurden nur dann in Betracht gezogen, wenn sie für die fraglichen Betriebe keinen wirtschaftlichen Nachteil bedeuteten.
10. Industrie auf dem Vormarsch
Schäden oder Belästigungen durch industrielles Wachstum wurden in vielen Fällen als unvermeidlich akzeptiert oder durch Entschädigungszahlungen ausgeglichen, da Regierungsinstanzen fürchteten, sonst vielleicht lukrative Gewerbezweige zu behindern. Trotz ständiger Klagen konnten so zum Beispiel die Freiberger Hütten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts konstant ihre Produktion steigern. Die neue sächsische Gewerbeordnung von 1861 bot "genehmigten Anlagen selbst bei späterer Belästigung Bestandsgarantie". Das Bürgerliche Gesetzbuch von 1901 führte schließlich den Begriff der "ortsüblichen Belastung" ein, der die Argumentation der vorhergegangenen Jahrzehnte wieder spiegelt. Trotz dieser sich verstärkenden Tendenz, Nachbarschaftsrechte zugunsten der Industrie zu übergehen, wurden die Landesregierungen aber immer wieder dazu gezwungen, unter dem Druck der Klagen Maßnahmen zu ergreifen. Man verlegte sich jedoch meist auf Scheinlösungen, die gut sichtbar waren, die Öffentlichkeit zufrieden stellten und Umweltbelastungen gesellschaftlich akzeptabel machten: Größere Entfernung von urbanen Zentren, Regionalisierung oder höhere Schornsteine sollten Rauchprobleme aus den Augen (und Nasen) der Anwohner schaffen. Hohe Essen wurden zu Fortschrittssymbolen stilisiert, die Hoffnung der "Verdünnung bis zur Unschädlichkeit"[3] erfüllte sich jedoch nicht.
11. Freiberg heute
Kurz vor dem Ersten Weltkrieg wurde der Freiberger Hüttenbetrieb aus Gründen der Wirtschaftlichkeit eingestellt, jedoch in der Zwischenkriegszeit wieder aufgenommen. Nun wurden vor allem Blei, Zink und Kupfer für die Kriegsindustrie produziert. Auch in der DDR wurde weiterhin Buntmetall vom VEB "Albert Funk" und dem Bergbau- und Hüttenkombinat Freiberg gefördert, wobei staatliche Stützung trotz gesteigerter Produktivität immer größere Relevanz gewann. 1969 wurde der Betrieb aus ökonomischen Gründen endgültig eingestellt.
12. Historisierung
Wiederentdeckt wurde der Freiberger Hüttenrauchstreit als historisches Thema mit der Entstehung der Umweltgeschichte als Forschungszweig in den 1970er und 80er Jahren. Während Umwelt zum Politikum wurde, wuchs das Interesse von Historikern wie Arne Andersen und Franz-Josef Brüggemeier an Umweltdebatten der Anfangs- und Hochphase der Industrialisierung, die als Ursache für viele der heutigen Probleme gesehen wird und gerade den Umgang mit Emissionsproblemen im 20. Jahrhundert entscheidend geprägt hat. Besonders unter dem Eindruck der Waldsterbensdebatte der 80er Jahre erlangten die langfristigen, chronischen Folgeschäden von Luftverschmutzung – wie im Falle Freibergs – besondere Relevanz.
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Verantwortlich für diesen Erinnerungsort: Claudia Köpfer Online seit 2011
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