Die WaBoLu
Kapitelübersicht - Verschmutzte Natur - Die WaBoLu
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Wege der Erinnerung
Verwandte ThemenÖko-Institut; Blauer Himmel über der Ruhr; Umweltprogramm; Elektrofilter
LiteraturJürgen Büschenfeld, Flüsse und Kloaken. Umweltfragen im Zeitalter der Industrialisierung (1870-1918) (Stuttgart: Klett-Cotta, 1997). Frank Uekötter, Von der Rauchplage zur ökologischen Revolution. Eine Geschichte der Luftverschmutzung in Deutschland und den USA 1880-1970 (Essen: Klartext Verlag, 2003). Norman Fuchsloch, Sehen, riechen, schmecken und messen als Bestandteile der gutachterlichen und wissenschaftlichen Tätigkeit der Preußischen Landesanstalt für Wasser-, Boden- und Lufthygiene im Bereich der Luftreinhaltung zwischen 1920 und 1960 (Freiberg: TU Bergakademie Freiberg Akademische Buchhandlung, 1999).
Fußnoten
BildnachweisBundesarchiv, Bild 102-06212 (Foto: o.Ang. | Juli 1928); |
Wenn wissenschaftliche Einrichtungen einen Kosenamen erhalten, sagt das etwas aus. "WaBoLu" hieß die Landesanstalt für Wasser-, Boden- und Lufthygiene, die für Jahrzehnte die höchste wissenschaftliche Autorität für all jene Probleme war, die wir heute als Umweltverschmutzung bezeichnen. Damit steht die WaBoLu für die gerade in Deutschland sehr frühe Verwissenschaftlichung von Umweltdebatten – aber auch für die Entpolitisierung, die sich mit der Macht von Experten verbinden konnte.
1. VorgeschichteStädte galten seit jeher als Orte voller Schmutz und übler Dünste. Mit der Industrialisierung und dem Wachstum der Großstädte gewannen die Probleme jedoch neue Dimensionen: Die Verschmutzung durch neue Produktionsweisen und die Zusammenballung zahlreicher Menschen überforderte tradierte Systeme der städtischen Ver- und Entsorgung. Eine zentrale Forderung der Hygienebewegung, die sich im Kaiserreich formierte, war die Versorgung der Städte mit sauberem Trinkwasser und die kontrollierte Beseitigung von schmutzigem Wasser und Müll. Die entsprechenden Investitionen in Kläranlagen und unterirdische Leitungen waren jedoch kostspielig und kompliziert – eine Situation wie geschaffen für Experten und ihr Wissen.
2. Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung
Gegründet wurde die WaBoLu 1901 als Königliche Versuchs- und Prüfanstalt für Wasserversorgung und Abwasserbesorgung. Träger war der preußische Staat, der von Kommunen und Industriellen zur Schaffung einer wissenschaftlichen Zentralinstanz gedrängt worden war. Diese Interessenten gründeten 1902 den Verein für Wasserversorgung und Abwässerbeseitigung, der die staatliche Einrichtung auch finanziell unterstützte. Diese Verflechtung mit den beiden wichtigsten Verursachern von Wasserverschmutzung zeigte das Vertrauen der Beteiligten in wissenschaftliche Expertise, setzte den Möglichkeiten der Einrichtung jedoch zugleich Grenzen. Ein aggressiver Kampf gegen verschmutzte Flüsse war mit dieser Konstellation jedenfalls nur bedingt möglich.
3. Experten ohne Gesicht
Die Experten, die sich um die neue Einrichtung scharrten, gehörten zur zweiten Generation der Hygienebewegung. Vorbei waren die Zeiten der Grundsatzkonflikte, als sich etwa Robert Koch und Max von Pettenkofer um die Miasmatheorie stritten. Seit der Jahrhundertwende waren Bakterien als Krankheitserreger allgemein anerkannt, und die Schwemmkanalisation galt weithin als der beste Weg, flüssige Abfälle aus den Städten zu schaffen. Es ging nunmehr um die technischen Details solcher Systeme, und dazu brauchte es vor allem Fachwissen. Öffentliche Geltung war für die neuen Experten hingegen weniger wichtig: Die Hygienebewegung war in eine post-heroische Phase eingetreten.
4. Wasser, Boden und Luft
Nach dem Ersten Weltkrieg erweiterte die Behörde ihren Zuständigkeitsbereich um die Luftreinhaltung und bekam einen neuen Namen: Seit April 1923 hieß sie Preußische Landesanstalt für Wasser-, Boden- und Lufthygiene – oder kurz WaBoLu. In der Alltagsarbeit standen allerdings weiterhin Wasser und Abwasser im Mittelpunkt. Seit 1927 unterhielt die Einrichtung mit den "Kleinen Mitteilungen für die Mitglieder des Vereins für Wasser-, Boden- und Lufthygiene" eine eigene Fachzeitschrift.
5. Drohende Auflösung
Das wissenschaftliche Renommee verhinderte freilich nicht eine Existenzkrise. Anfang 1924 plante der preußische Staat, die WaBoLu zwecks Haushaltskonsolidierung zu schließen. In dieser Situation erwies sich das Bündnis mit Kommunen und Industriellen als Trumpf: Der heftige Protest des WaBoLu-Vereins sicherte das Überleben der Einrichtung. Nachdem die WaBoLu im Zweiten Weltkrieg in Reichsanstalt für Wasser- und Luftgüte umbenannt worden war, wurde die WaBoLu 1952 als Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene Teil des Bundesgesundheitsamts.
6. Entpolitisierung durch Expertise
Als wissenschaftliche Einrichtung prüfte die WaBoLu neue Ideen und schrieb Gutachten zu stehenden Konflikten. Mehr als 12 000 Akten füllte sie dabei in den ersten fünfzig Jahren ihrer Existenz. Als Grundlinie lässt sich ein großes Vertrauen in wissenschaftliche Verfahren und technische Lösungen beschreiben – und ein Desinteresse an politischen Initiativen. Die WaBoLu favorisierte gründliche Detailarbeit statt gesetzlicher Reformen. Auch als in den fünfziger Jahren langsam Bewegung in die deutsche Regulierung von Verschmutzungsproblemen kam, reagierte die WaBoLu nur träge. Dass um 1960 in der Bundesrepublik nur vierzig Prozent der häuslichen und gewerblichen Abwässer einigermaßen geklärt wurden, lag auch daran, dass die WaBoLu über die zahllosen Einzelkonflikte das Gesamtbild aus den Augen verloren hatte.
7. Verlust der Monopolstellung
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besaß die WaBoLu als führende wissenschaftliche Einrichtung in Deutschland eine unangefochtene Stellung. In der Bundesrepublik erodierte diese Stellung nach und nach. Seit Mitte der fünfziger Jahre entwickelte die VDI-Kommission Reinhaltung der Luft im staatlichen Auftrag Grenzwerte und technische Standards für die Luftreinhaltung. In den siebziger Jahren setzte sich der Bedeutungsverlust mit der Schaffung neuer Expertengremien und Forschungseinrichtungen fort, darunter auch Einrichtungen in privater Trägerschaft wie das Öko-Institut [link], die mit Gegenexpertise das staatliche Monopol durchbrachen. Der öffentlichkeitsscheue, apolitische Experte wurde zunehmend zum Auslaufmodell.
8. Umweltbundesamt und WaBoLu
Unter den konkurrierenden Einrichtungen verdient das Umweltbundesamt eine besondere Erwähnung. Beide waren nicht nur Einrichtungen des Bundes, sondern verfolgten auch äquivalente Ziele: die Bekämpfung von Umweltverschmutzung durch wissenschaftliche Expertise. Bezeichnenderweise favorisierte Hans-Dietrich Genscher, der sich als Bundesinnenminister seit 1969 um die Reform des technischen Umweltschutzes bemühte, jedoch eine neue, dynamischere Institution, die nicht nur naturwissenschaftlich-technisch dachte, sondern die Bundesregierung auch in politischen Fragen beraten konnte. 1974 wurde deshalb im Rahmen der sozialliberalen Umweltpolitik das Umweltbundesamt gegründet, während das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene Teil des Bundesgesundheitsamts blieb. Auf der Arbeitsebene gab es freilich vielfältige Beziehungen – schon deshalb, weil beide Behörden ihren Sitz in Berlin hatten.
9. www.wabolu.de
Erst als das Bundesgesundheitsamt 1994 nach einem Skandal um HIV-verseuchte Blutpräparate aufgelöst wurde, ergab sich die Chance zur Vereinigung der beiden Einrichtungen. Das Institut für Wasser-, Boden- und Lufthygiene wurde vom Bundesgesundheitsministerium an das 1986 gegründete Bundesumweltministerium übertragen und dem Umweltbundesamt eingegliedert; als eigenständige Institution existiert die WaBoLu seither nicht mehr. Und doch ist die WaBoLu immer noch nicht ganz verschwunden: Unter www.wabolu.de findet man im Internet den Verein für Wasser-, Boden- und Lufthygiene – gegründet 1902.
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Empfohlene Zitierweise: Frank Uekötter, Erinnerungsort "Die WaBoLu", URL: http://www.umweltunderinnerung.de/index.php/kapitelseiten/verschmutzte-natur/49-die-wabolu.