Kapitelübersicht - Ökologische Zeiten - Die Ost-Berliner Umweltbibliothek

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Die Ost-Berliner Umweltbibliothek    

Wege der Erinnerung

  1. Vorgeschichte
  2. Die Gründung
  3. Die Umweltblätter
  4. Im Visier der Stasi
  5. Im Blick der Westmedien
  6. Der Schutz der Kirche
  7. Die GNU

 

Verwandte Themen

Bitterfeld, Tschernobyl, Grenzen des Wachstums, Das Waldsterben

 

Literatur

Hans-Peter Gensichen, Die Beiträge des Wittenberger Forschungsheims für die kritische Umweltbewegung in der DDR, in: Hermann Behrens, Jens Hoffmann (Bearb.), Umweltschutz in der DDR. Analysen und Zeitzeugenberichte, Bd.3: Beruflicher, ehrenamtlicher und freiwilliger Umweltschutz. München 2007, S.149- 177.

 

Hermann Behrens, Umweltbewegung, in: Hermann Behrens, Jens Hoffmann (Bearb.), Umweltschutz in der DDR. Analysen und Zeitzeugenberichte, Bd.3: Beruflicher, ehrenamtlicher und freiwilliger Umweltschutz. München 2007, S.131-147.

 

Martin Greschat, Staat und Kirche in der DDR-Ein Überblick in Dezennien, in: Horst Dähn, Joachim Heise (Hg.), Schwierige Gratwanderung. Nach-Denken über die Rolle der evangelischen Kirche in der DDR 20 Jahre nach der Revolution. Berlin 2010, S. 19- 43.

 

Michael Beleites, Die unabhängigen Umweltbewegungen in der DDR, in: Hermann Behrens, Jens Hoffmann (Bearb.), Umweltschutz in der DDR. Analysen und Zeitzeugenberichte, Bd.3: Beruflicher, ehrenamtlicher und freiwilliger Umweltschutz. München 2007, S.179-224.

 

Torsten Moritz, Gruppen der DDR-Opposition in Ost-Berlin–gestern und heute. Berlin 2000.

 

Fußnoten

 

Bildnachweis

Vom Ministerium für Staatssicherheit während der Durchsuchung in der Nacht vom 24. auf den 25. November 1987 angefertigtes Foto von den verhafteten Mitarbeitern der Umwelt-Bibliothek.

1986 gegründet, wurde die Umweltbibliothek Ost-Berlin zum Synonym für ostdeutschen Umweltprotest unter dem Dach der evangelischen Kirche. Es war nicht der einzige Ort für ökologischen Protest oder gar Umweltbewusstsein im SED-Staat, aber die Sonderstellung der Kirchen schuf ein besonderes Maß an Unabhängigkeit. Da Grund und Boden der Kirche vom Staat nicht antastbar waren, konnte 1986 der Magdeburger Bericht zum Waldsterben in kirchlichen Wäldern erstellt werden. Ebenso konnte eine Umweltbibliothek in den Kellerräumen der Zionskirche eingerichtet werden, um die Bevölkerung über die Umweltprobleme des Staates zu informieren. Das dritte von der evangelischen Kirche veranstaltete Ökologieseminar zum Thema Atomkraft fand bereits 1986 in der Umweltbibliothek Ost-Berlin statt. In der Zeit des politischen Aufbruchs in den Jahren vor der Wende bildete die Bibliothek ein wichtiges Zentrum zur Diskussion der Umweltprobleme.

 

 

1. Vorgeschichte

Die Umweltpolitik der DDR hatte im Westen lange als vorbildlich gegolten. Zum einen war der Umweltschutz als Staatsziel bereits 1968 in die Verfassung aufgenommen worden, zum anderen war die Gründung des Ministeriums für Umweltschutz und Wasserwirtschaft 1972 noch vor Gründung des westdeutschen Umweltbundesamts erfolgt. Wenn der DDR Umweltschutz allerdings in Konflikt mit anderen staatlichen Interessen geriet, zog er trotz seiner Verankerung in Verfassung und Ministerien den Kürzeren. So betrieb die DDR weiterhin großflächige chemische Düngung im Zuge ihrer intensiven Land- und Forstwirtschaft und verwendete ab 1973 Braunkohle als Erdölersatz. Das öffentliche Protestpotential war gering, da viele Betroffene in den Verursacherbetrieben arbeiteten. Weil die DDR finanziell immer weniger in der Lage war, aktiven Umweltschutz zu betreiben, schottete sich der Ministerrat durch ein Gesetz gegen die Verbreitung der Daten des jährlichen Berichts für Umweltschutz von den Problemen ab. Die oppositionelle Umweltbewegung der Gemeinde Berlin-Lichtenberg, deren Entstehung durch die Veröffentlichung der Grenzen des Wachstums beeinflusst worden war, hatte bereits in den Siebzigern die Idee zur Schaffung einer Bibliothek zu ökologischen Themen entwickelt, eine Umweltbibliothek einzurichten, um die Bevölkerung über Umweltprobleme zu informieren. Aufgerüttelt von der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, kam es 1986 zur Einrichtung der Umweltbibliothek.

 

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2. Die Gründung

1986 ließ sich Hans Simon, Pfarrer der Zionskirche in der Gemeinde Berlin- Lichtenberg, für die Idee einer Umweltbibliothek begeistern. Dort sollten der Öffentlichkeit Bücher zu ökologischen Fragen sowie ein öffentlicher Raum für Diskussionen zur Verfügung gestellt werden. Ähnliche Initiativen hatte es bereits 1984 in Polen durch die Einrichtung eines "Leseladens" gegeben. Die Kellerräume der Kirche wurden daraufhin von Mitgliedern des Friedens- und Umweltkreises der Pfarr- und Glaubensgemeinschaft zu einer Bibliothek umgebaut. Die Umweltbibliothek umfasste bald ca. 5000 Bücher und Broschüren, von denen zwei Drittel aus dem Westen stammten, so auch der Bericht zu den Grenzen des Wachstums. Im November 1986 fand dann das dritte Ökologieseminar zum Thema Atomkraft zum ersten Mal in den Räumen der Umweltbibliothek statt. Durch regelmäßige Veranstaltungen zu Umwelt- und Friedensthemen sowie zur DDR-Tagespolitik erweiterten sich Leserkreis und Buchbestand rasch. Die Umweltbibliothek trug somit zur Bildung einer Gegenöffentlichkeit bei.

 

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3. Die Umweltblätter

Seit ihrer Gründung publizierte die Umweltbibliothek die Zeitschrift "Die Umweltbibliothek", welche 1987 in "Die Umweltblätter" umbenannt wurde. Aufgrund des Mangels an modernen Druckverfahren wurde sie im aufwendigen Wachsmatrizenverfahren gedruckt. Durch Weitergabe der Zeitschrift sowie Informationsaustausch sollte eine bessere Vernetzung der Umweltbewegungen gewährleistet werden. Zugleich intensivierte sich der Informationsaustausch mit anderen Ostblockländern. Inhaltlich übte die Zeitschrift Kritik an der Umweltpolitik des SED-Staates. Darüber hinaus griff sie durch Beiträge wie "Alles Unglück in Deutschland kommt daher, dass meine Bürger immer selber denken wollen" den sozialistischen Staat direkt an. Der Vermerk "Zur innerkirchlichen Information" konnte aber nur teilweise vor Repressionen schützen.

 

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4. Im Visier der Stasi

Die Paranoia der DDR machte auch den Umweltschützern zu schaffen: Um in den 1980ern eine Umweltschutzaktion zu planen, mussten DDR-Aktivisten selber konspirieren, um sich vor der Stasi zu schütze. Die Aktion "Falle" der Staatssicherheit traf in der Nacht vom 24. auf den 25.11.1987 schließlich auch die Umweltbibliothek. Die Mitarbeiter sollten beim Druck der staatsfeindlichen Zeitschrift "Grenzfall" ertappt werden. Tatsächlich druckten sie gerade die legalen Umweltblätter. Die Aktion wurde zu einer Niederlage für den SED-Staat, da sie zu Solidarisierungswellen im Osten wie im Westen sowie zu internationalen Protesten führte. Allerdings wurde die Redaktion der Umweltbibliothek aus Angst vor weiteren Stasi-Aktionen und Informanten zunehmend verschlossen.

 

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5. Im Blick der Westmedien

Die Zionsaffäre hatte auch das Interesse der Westmedien geweckt und bot die Möglichkeit, eine breite Öffentlichkeit im Osten wie im Westen für die Umweltprobleme der DDR zu sensibilisieren. Mit einer vom ARD-Programm "Kontraste" entliehenen Videokamera filmten die Mitarbeiter der Umweltbibliothek in den ökologischen Problemgebieten der DDR. So wurden 1987 Beiträge über die Braunkohlelandschaften, 1988 der Beitrag "Bitteres aus Bitterfeld" und 1989 ein Beitrag über das Waldsterben in Ost – und Westdeutschland produziert und gesendet.

 

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6. Der Schutz der Kirche

In der atheistischen DDR wurden die Kirchen aufgrund nicht eindeutiger Formulierungen in der Verfassung geduldet, litten aber dennoch unter staatlichen Zwangsmaßnahmen wie der Jugendweihe. Proteste von Seiten der Kirche gegen moralisch fragwürdiges Vorgehen des SED-Staates führten zu weiteren Restriktionen. Ende der 1970er profitierten die Kirchen von einer Entspannungspolitik, die auch den kirchlichen Umweltaktivisten zugute kam. Nach einem Treffen zwischen Kirchen- und Staatsvertretern 1977 erhielt die Kirche anlässlich der Feiern zum 500. Geburtstag Luthers sogar eine Einfuhrerlaubnis für theologische Literatur aus dem Westen. Der Schutz der Kirchen bedeutete aber auch, dass die Umweltaktivisten außerkirchliche Bevölkerungssegmente nur schwer erreichen konnten. Nach der Wende trennten sich die meisten Umweltgruppen von der evangelischen Kirche.

 

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7. Die GNU

Im Gegensatz zu den kirchlichen und damit vom Staat unabhängigen Umweltgruppen gründete die SED 1980 die Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU). Diese war in den Kulturbund und damit in die Strukturen des SED-Staats integriert. Sie sollte das gesteigerte Interesse an der Umweltpolitik in systemkonforme Bahnen kanalisieren. Unterteilt in 11 Fachausschüsse wie "Geowissenschaften" oder "Wandern und Touristik", sollte die GNU ihren freiwilligen Mitgliedern eine Plattform zur Beschäftigung mit Umweltthemen bieten. Bis zum Jahr 1987 gewann sie 60.000 Mitglieder. Der Beitritt umweltpolitischer Gruppen wie der Interessengemeinschaft Stadtökologie politisierte sie allerdings zunehmend. Eine Kanalisierung oder Integration der umweltpolitischen Gruppen wurde im Laufe der Achtziger für den SED-Staat immer schwieriger. Nach der Wende zerfiel die Gesellschaft für Natur und Umwelt. Aus der IG Stadtökologie ging die Grüne Liga hervor. Viele ehemalige Mitglieder schlossen sich dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) oder dem Naturschutzbund (NABU) an.

 

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{accordion}Kommentare::Kommentar von Jeffrey Michel:

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich habe mich heute etwas mit Ihrer Website befasst. Diese ist derart komplex und thematisch weit reichend aufgebaut, um einerseits vielen historischen Ansprüchen wenigstens ansatzweise genügen zu können, und aber andererseits einen beachtlichen Gesamtumfang aufzuweisen, der das Wissen eines Durchschnittsbesuchers und selbst vieler Fachleute übertreffen dürfte. Der dadurch vermittelte Eindruck eines unerschöpflichen Themenschatzes wird dabei richtig geortet, während dieser jedoch merklich auf die Ereignisse beschränkt bleibt, welche noch konfliktlos aus dem kollektiven Erinnerungsvermögen zurückgerufen werden können. Es besteht damit einhergehend die Gefahr einer kulturell vorbelasteten Überzeugung des unabdingbaren ökologischen Fortschritts, während aber in Wirklichkeit sich die globale Umweltqualität nach den meisten angelegten Bewertungskriterien zusehends verschlechtert.

Ich bin erst heute auf den Namen von Frank Uekötter in einem Spiegel-Bericht gekommen, in dem er diesen Umstand ebenfalls bestätigt.

Sein Alter und seine westdeutsche Herkunft lassen gleichwohl annehmen, dass er viele der auf Ihrer Website geschilderten Ereignisse allenfalls aus zweiter Hand kennt, womit sich selbstredend alle Historiker und Chronisten letztlich abfinden müssen. Es bleibt aber dadurch ein hohes Maß an historischer Verdrängung möglich, deren Ursachen bei den Erzählenden – und potentiell noch entscheidender bei den Nichtbefragten - zu suchen wäre. Als US-Amerikaner mit Erfahrungen in der alten Bundesrepublik (Waldsterben im Schwarzwald), der DDR (ich beschaffte damals Michael Beleites seinen Geigezähler) und später in den neuen Bundesländern zuletzt als Energiebeauftragter der inzwischen überbaggerten Gemeinde Heuersdorf (siehe die von mir geführte Website www.heuersdorf.de) ist mir dieser Umstand deswegen vordergründig, weil dadurch die internationalen Auswirkungen und die zeithistorische Dimension von ökologisch relevanten Handlungen sowie anhaltende Kompromisse mit der eigenen vermeintlichen Gesellschaftsethik unterschlagen werden können.

Um zunächst mit diesem letzten Umstand zu beginnen, habe ich durch die eigene Vertrautheit mit der Stasi zu DDR-Zeiten später in Heuersdorf die Weiterbeschäftigung von ehemaligen MfS-Mitarbeitern im Vorstand des Braunkohleunternehmens MIBRAG entgegen der ausdrücklichen Anweisung der Treuhandanstalt an Hand von BStU-Unterlagen feststellen können. Das damit verbundene Unrecht zum Nachteil Dritter interessierte bislang keine Landesregierung (Sachsen und Sachsen-Anhalt) und auch keine Zeitung oder Zeitschrift. Hierbei wären Die Welt und Der Spiegel gesondert zu erwähnen, weil sie einerseits eine entsprechende Berichterstattung abgelehnt haben, während sie andererseits den Bedarf nach Geschichtsaufarbeitung durch die Enttarnung der MfS-Vergangenheit eines Hauptgeschäftsführers beim Hotel Adlon befriedigen konnten. Dieser Manager durfte jedoch keine anderen Menschen unter dem Schutz des Bergrechts enteignen. Ihre Website ist ebenfalls auf räumlich eingegrenzte Einzelfälle beschränkt, so dass beispielsweise die Erfahrungen aus über 300 bergbaulich zerstörten Braunkohledörfern seit den 20er Jahren (siehe meine Studie unter http://www.heuersdorf.de/apc18.pdf) vermutlich Ihre Forschungskapazitäten überlasten würden.

Ähnliches lässt sich in Bezug auf das Beispiel Bitterfeld vermuten, dessen Umweltbelastungen allzu vordergründig auf die DDR-Industriepolitik bezogen werden. Aus historischer Sicht ist aber die Tatsache weitaus bedeutsamer, dass das mitteldeutsche Chemiedreieck insgesamt zwei Weltkriege ermöglichte (z. B. durch das Haber-Bosch-Verfahren), und dass auch die Ausblendung der entsprechenden Hintergründe etwa in den Medien und dem Schulunterricht offenbar vortrefflich gelungen ist. Ich konnte am 06.06.2011 als Sachverständiger bei einer CCS-Anhörung im Deutschen Bundestag die Auswirkung der entsprechenden geschichtsfernen politischen Auffassungen durch den beigefügten Verweis auf die angenommene Überwachung unterirdisch gespeicherten CO2 (es ließe sich da auch der Atommüll anführen) durch die Bundesregierung über einen Zeitraum von 10.000 Jahren durch einen Vergleich mit den sechs verschiedenen Staatsformen in Deutschland allein im vergangenen Jahrhundert verdeutlichen. Indem jedoch dieser Widerspruch keine Diskussion unter den anwesenden Parlamentariern auslöste, gehe ich nun davon aus, dass Ihnen noch sehr viel Arbeit bevorsteht.

Mit freundlichen Grüßen,

Jeffrey Michel

 

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Verantwortlich für diesen Erinnerungsort: Judith Heidl

 

Online seit 2011

 

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Empfohlene Zitierweise: Judith Heidl, Erinnerungsort "Die Ost-Berliner Umweltbibliothek", URL: http://www.umweltunderinnerung.de/index.php/kapitelseiten/oekologische-zeiten/94-die-ost-berliner-umweltbibliothek.