Kapitelübersicht - Verehrte Natur - Der Englische Garten München
PDF-Version
Wege der Erinnerung
Verwandte ThemenDer romantische Rhein, Der Biergarten, FKK, Trimm-Dich-Pfad, Worpswede, Die Lüneburger Heide
LiteraturBayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen (Bearb.), Der Englische Garten in München. Erweiterte und aktualisierte Neuauflage der Festschrift "200 Jahre Englischer Garten in München". München 2000.
Dombart, Theodor, Der Englische Garten zu München. München 1972.
Borgmeier, Raimund, Der Englische Garten – eine frühe Manifestation der Romantik. Gießener Universitätsblätter 42 (2009), S. 39-50.
Imwolde, Lars, Metropolitane Parklandschaften. Der Englische Garten in München im Wandel. Dortmund 2007.
Wanetschek, Margret, Grünanlagen in der Stadtplanung von München 1790-1860. München 2005.
Landeshauptstadt München – Baureferat (Bearb.), Parkband zwischen Schlosspark Nymphenburg und dem Englischen Garten. München 2005.
Fußnoten[1] Benjamin Thompson, Graf Rumford, zit. nach Pankraz Freiherr von Freyberg, "Lustwandler steh! Dank staerket den Genuss", in: Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen (Bearb.), Der Englische Garten in München. Erweiterte und aktualisierte Neuauflage der Festschrift "200 Jahre Englischer Garten in München". München 2000, S. 9.
[4] Friedrich Ludwig von Sckell, Denkschrift über den Englischen Garten, 1807. Abgedruckt in: Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen (Bearb.), Der Englische Garten in München. Erweiterte und aktualisierte Neuauflage der Festschrift "200 Jahre Englischer Garten in München". München 2000, S. 92.
[5] Johann Nepomuk Huntinger, zitiert in: Gebhard Spahr (Bearb.), Johann Nepomuk Huntinger. Reise durch Schwaben und Bayern im Jahr 1784, Weißenhorn 1964, S. 73.
[6]Friedrich Ludwig von Sckell, Denkschrift über den Englischen Garten, 1807. Abgedruckt in: Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen (Bearb.), Der Englische Garten in München. Erweiterte und aktualisierte Neuauflage der Festschrift "200 Jahre Englischer Garten in München". München 2000, S. 93.
BildnachweisDer Englische Garten München (Foto: Ludmiła Pilecka). |
Der Englische Garten in München ist der größte Landschaftsgarten in Europa und eine der ersten europäischen Parkanlagen, die für alle Stadtbewohner geöffnet wurden. Die zehn Kilometer lange, einen Kilometer breite grüne Achse der Stadt ist eines ihrer Wahrzeichen und ein wesentlicher Faktor für die Attraktivität des Münchner Raums, ob als touristisches Ziel oder Wohnort. Seit über 200 Jahren bietet der Park – einer der ersten "Volksgärten" und damit sowohl Spiegel als auch Experimentierfeld der Gesellschaft – Münchnern und Touristen einen Raum für die Begegnung mit der Natur und mit anderen Menschen, für Selbstentfaltung, Freizeit und Integration.
1. Vorgeschichte: München um 1800
Seine Entstehung verdankt der Englische Garten drei Personen: Dem pfälzischen Kurfürsten Karl Theodor (1724-1799), der Bayern bis 1799 regierte, dem bayerischen Kriegsminister Benjamin Thompson, Graf Rumford (1753-1814) und dem Gartenkünstler Friedrich Ludwig von Sckell (1750-1823). Alle drei prägten auch über den Park hinaus nachhaltig das Münchner Stadtbild.
2. Die Stadt wächst
Mit der Entwicklung der Parks eng verbunden war die von Karl Theodor veranlasste Abtragung der Stadtmauern, die zu einer schnellen Flächenexpansion Münchens führte. Der Englische Garten wertet das Gebiet vor dem Schwabinger Tor und entlang der Schwabinger Landstraße stark auf. Hier entstand in den nächsten Jahrzehnten eine neue "Gartenvorstadt", die sich schließlich zu den Stadtteilen Maxvorstadt und Schwabing entwickeln würde. Später wurde besonders die Fläche zwischen Ludwig- bzw. Leopoldstraße und Englischem Garten Objekt von Immobilienspekulation – und gehört bis heute zu den teuersten Gegenden in München.
3. Landschaftsgarten
Der Landschaftsgarten etablierte sich als Gartenform um 1730 in England und löste die strengen geometrischen Formen des Barockgartens ab. Er kann als ein sehr früher Teil des Paradigmenwechsels in Kunst, Literatur und Kultur gesehen werden, der seinen Höhepunkt in der Romantik fand und auch unser modernes Naturverständnis nachhaltig geprägt hat.
4. "Alles scheint Natur, so glücklich ist die Kunst versteckt" [2]Unregelmäßige, fast zufällig wirkende Linien, Haine, Wiesen, kurvige Wege, Bäche und Teiche imitieren natürlich entstandene, idyllische Landschaften und schaffen romantische Stimmungsbilder. Diese Gartenform ist nicht abgegrenzt durch Zäune – stattdessen bezieht sie ihre Umgebung geschickt mit ein und lässt die Grenzen zwischen Stadt und Park, Garten und Umland verschwimmen.
5. Friedrich Ludwig von Sckells Vision
"In diesen anmuthigen reichhaltigen Gefielden, wo man unter Blüthen-Duft dahin wandelt; wo ein Sammt ähnlicher Rasen die Mutter Erde schmüket; wo ausgewählte Formen die Gebüsche umgürten, und liebliche Farbe-Tönen, Licht und Schatten angenehm wechseln, sind dem Fußgänger wohl gehaltene Wege geöfnet, und die Wahl gelassen, bald in dunkle Gebüsche zum traulichen Gespräch, oder in lichten Parthien, zum Genuße der schönen Natur zu treten. (...) Diese geschmückte Natur, diese üppige reichhaltige Gebüschen, können dann allmälig zum erhabenen Styl des Mayestätischen Parks übergehen: Es können sich dann Waldstücke, in grosen Maßen hingeworfen, die ein heiliges Dunkel einschliesen, und gesönderte Gruppen von ehrwürdigen Bäumen, zeigen. Freundliche Wiesen, die eilende Bäche durchströmen, können die Zwischen-Räume ausfüllen, und kräftige Wasserfälle die feierliche Stille unterbrechen. Heilige Haine wo die Phantasie die Bardensänge höret; wo sie Altäre der grauen Vorzeit im Geheimniß vollen Dunkel erblickt, und die hundert jährige Eiche sieht, die die Siegreichen Waffen Teutscher Helden trägt. Seen von sanften Ufern umschlungen, und von lieblichen Gesträuchen überhängt, die sich in die Fluthen tauchen, und ihr schönes Bild noch reiner wieder geben: Freundliche Inseln die zum Besuch auf Kähnen einladen, und wo abgesöndert von der lärmenden Welt, die süße Einsamkeit wohnt, und die Natur, da wenig besucht, noch unverdorben, im schönen Gewande der erhaltenen Unschuld pranget! –"[3]
6. Volksgarten
Die Französische Revolution hatte nichtadelige Bürger als neue Macht zutage treten lassen, die nicht mehr ignoriert werden konnte. Auch in München beschleunigten die Ereignisse in Frankreich ein schnelles Umdenken vom Militär- zum Volksgarten. Der Volkspark, in dem alle sozialen Schichten gemeinsam die Freude an der Natur erleben können, wurde zu einem wichtigen Integrationsraum.
7. Freiheit
Standen die beschnittenen, streng geordneten Formen des Barockgartens für absolutistische Kontrolle und Unterdrückung, so war der Landschaftsgarten die perfekte Ausdrucksform für den aufklärerischen Liberalismus. Die freie Natur funktionierte als demokratisches Element, als politischer und gesellschaftlicher Freiraum, in dem auch soziale Konventionen gelockert wurden. Schon bei einem Besuch im Münchner Hofgarten 1784 beschreibt Pater Johann Nepomuk Huntinger diese besondere Atmosphäre, die im Englischen Garten noch starker zutage treten sollte: "In diesem Garten, welcher von jedermann besucht werden darf, ist man sehr ungeniert (...). Einer vertreibt sich hier die Weile mit Lesen unter einem schattigen Baume, ein anderer beschäftigt sich mit etwas anderem, jeder nach seiner Laune (...)."[5]
8. Freizeit
Besonders Freizeit steht heute für Freiheit und individuellen Gestaltungsraum. Der Englische Garten war von Anfang an mit dem Konzept der Freizeit verbunden, auch wenn sich dieses im Laufe der Jahrhunderte stark gewandelt hat: Die Freizeit der Soldaten des Kurfürsten – ein Konzept, das Rumford in seiner Militärreform neu einführte – war die Zeit, in der kein Krieg herrschte und in der sie sich der landwirtschaftlichen Ausbildung widmen sollten. In der industriellen und postindustriellen Gesellschaft bildet Freizeit das Gegenstück zum Arbeits- und Stadtleben. Erholung, persönliche Weiterentwicklung und Identitätsarbeit – sei es durch gesellige Aktivitäten oder Sport – spielen jetzt eine zentrale Rolle. Der Park bietet dafür viele Möglichkeiten: Er kann zu jeder Zeit unentgeltlich für Sport oder gesellige Aktivitäten genutzt werden und bietet damit eine Flexibilität und Informalität, die den heutigen Lebensgewohnheiten entgegenkommt.
9. Selbstdarstellung und Lebensstil
Der Parkraum als Promenade war von Anfang an ein Ort der bürgerlichen und individuellen Selbstdarstellung, in dem die Anerkennung durch Zuschauer eine wichtige Rolle spielt: "Hier will das Volk gesehen, gefallen, und bewundert werden (...). Die Pflanzungen dürfen sie also nur augenblicklich verbergen, nur die Neugier reitzen, und wieder befriedigen", erklärt Sckell.[6] War Selbstdarstellung früher vorwiegend eine Frage des gesellschaftlichen Standes, so ist sie heute eine des Lebensstils. Damals stellte man seinen eigenen Status zum Beispiel durch die Wahl des Transportmittels (Pferde oder Gespanne) dar; heute wird Lebensstil durch die Freizeitgestaltung zur Schau gestellt: zum Beispiel durch (exotische) Sportarten wie Surfen, Capoeira, asiatischen Kampfsport oder Joggen oder eben auch durch die Ausübung von FKK auf der Schönfeldwiese.
10. Integrativ und multikulturell
Der Park bringt nicht nur Menschen aller Altersgruppen, kulturellen und sozialen Schichten zusammen, er vermischt sie auch und schafft neue Gruppenzugehörigkeiten und Identitäten, die durch öffentliche Zurschaustellung bestärkt werden – zum Beispiel beim Fußballspielen auf den Wiesen des Gartens, an dem Menschen aller Herren Länder teilnehmen.
11. Bedrohte Fläche
So groß der Englische Garten ist – er wird auch oft als bedrohte Fläche empfunden. Seit seiner Entstehung verursachen Baupläne in seiner unmittelbaren Nähe oder gar im Parkgelände regelmäßig heftige Diskussionen. Immer wieder mussten Flächenverluste zugunsten von Straßen oder Gebäuden hingenommen werden. Darunter am prominentesten ist wohl der Isarring, der den Park in den 70er Jahren in einen Nord- und Südteil zerschnitt. Heute setzt sich die Initiative "Ein Englischer Garten" für die Ersetzung des Isarrings durch einen unterirdischen Tunnel ein, der diese Zäsur im Park wieder aufheben würde. Manche Baupläne, wie der einer Trambahnlinie durch den Park, wurden durch die Proteste der Bürger vereitelt. Andere Veränderungen wie die Verlegungen von Stromleitungen, Kanalisation oder der Bau eines Regenüberlaufsbeckens ließen sich nicht so erfolgreich verhindern.
12. Ökosystem
Als Grünfläche ist der Englische Garten auch ein Ökosystem und ein Naturschutzgebiet – obwohl er künstlich entstanden ist. Friedrich Ludwig von Sckell plante die Bepflanzung des Parks behutsam und mit einem Blick für ökologische Aspekte: Klima und Standort wurden dabei genauso berücksichtigt wie die Benutzung heimischer Pflanzen und Gehölze. Ein Hochwasserdamm an der Isar machte die Parkanlage durch die Trockenlegung der Isarau überhaupt erst möglich. Die Ausschaltung der Auendynamik mit ihren periodischen Überschwemmungen sorgte für eine ungestörte Entwicklung der Fauna und Flora und damit für eine größere Artenvielfalt.
13. Die Last der Massen
So viel individuelle und gesellschaftliche Freiheit der Englische Garten auch bietet: Oft wird diese Freiheit zur Belastung. Besonders die Vegetation im Südteil wird durch so genannte "Freizeitnutzung" extrem strapaziert. Doch nicht nur diese schwer vermeidbaren Belastungen sind ein Problem, dazu kommen die mutwillige Zerstörung von Pflanzen, die Verschmutzung von Gebäuden und Denkmälern sowie tonnenweise zurückgelassener Müll. Auch der Umgang mit Tieren im Park ist problematisch: Durch Überfütterung nimmt das Wassergeflügel im Südteil Überhand, und im Nordteil dezimieren frei laufende Hunde die Reh-, Hasen- und Fasanenpopulation. Wie beim romantischen Rhein ist die romantische Idylle, die eigentlich ein zentraler Aspekt des Landschaftsgartens sein sollte, durch die Millionen von Besuchern ein wenig verloren gegangen; nirgendwo ist man weniger allein mit der Natur als im Englischen Garten. Gartenkunst und Freizeitkultur, Landschafts- und Volksgarten stehen so in einem Spannungsverhältnis, das nicht immer leicht aufzulösen ist.
{accordion}Kommentare::Leider noch keine Kommentare verfügbar.
Verantwortlich für diesen Erinnerungsort: Claudia Köpfer Online seit 2012
|
Ihre Kommentare
Was meinen Sie: Ist "Der Englische Garten München" tatsächlich ein ökologischer Erinnerungsort? Zur Abstimmung klicken Sie bitte HIER.
Sie haben ein hier erwähntes Ereignis miterlebt oder möchten unsere Präsentation kommentieren? Dann klicken Sie bitte auf unser FEEDBACK-FORMULAR.
Wir werden Ihre Email-Adresse ausschließlich für Zwecke dieses Projekts verwenden und nicht an Dritte weitergeben.
Empfohlene Zitierweise: Claudia Köpfer, Erinnerungsort "Der Englische Garten München", URL: http://www.umweltunderinnerung.de/index.php/kapitelseiten/verehrte-natur/26-der-englische-garten-muenchen.