Kapitelübersicht - Geschützte Natur - Das Naturdenkmal

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Das Naturdenkmal    

Wege der Erinnerung

  1. Vorgeschichte
  2. Forstbotanische Merkwürdigkeiten und andere Naturzeugnisse
  3. Hugo Conwentz und die Institutionalisierung der "Staatlichen Naturdenkmalpflege"
  4. "Pritzelkram" (Hermann Löns) – Kritik an der staatlichen Naturdenkmalpflege
  5. Das Naturdenkmal als Schutzgut und Instrument des Naturschutzes

 

Verwandte Themen

Alexander von Humboldt, Blaue Blume, Der Romantische Rhein, Laufenburger Stromschnellen, Knechtsand, Lüneburger Heide, Reichsnaturschutzgesetz

 

Literatur

Hans-Werner Frohn, Friedemann Schmoll (Hg.), Natur und Staat. Die Geschichte des staatlichen Naturschutzes in Deutschland 1906-2006, Bonn 2006.

 

Anette Lenzing, Der Begriff des Naturdenkmals in Deutschland, in: Gartenkunst 15 (2003), S. S. 4-27.

 

Reinhard Piechocki, Stichwort Naturdenkmal, in: Naturwissenschaftliche Rundschau, 59 (2006), H. 4, S. 233-234.

 

Friedemann Schmoll, Erinnerung an die Natur. Die Geschichte des Naturschutzes im deutschen Kaiserreich, Frankfurt a.M. 2004.

 

Fußnoten

[1] Alexander von Humboldt, Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents. Herausgegeben von Ottmar Ette, 1. Bd., Frankfurt a. M. 1991, S. 623.


[2] Horace Benedicte des Saussure, Reisen durch die Alpen, Erster Theil, Leipzig 1781, S. 190.

 
[3] Anonym, Uebersicht der durch Schönheit, Größe und Form merkwürdigen Bäume der sächsischen Staatswälder, in: Jahrbuch der königl. sächs. Akademie für Forst- und Landwirthe zu Tharand. Des forstwirthschaftlichen Jahrbuches neunter Band. Neue Folge. Zweiter Band, Leipzig 1853, S. 67.

 

[4] Heinrich Burckhardt, Säen und Pflanzen nach forstlicher Praxis. Handbuch der Holzerziehung. Vierte verbesserte Auflage, Hannover 1870 [1855], S. 478.

 

[5] Ebda., S. 481.

 

[6] Z.B. Alfred Jentzsch, Nachweis der beachtenswerten und zu schützenden Bäume, Sträucher und erratischen Blöcke in der Provinz Ostpreußen, Königsberg 1900; Hugo Conwentz, Forstbotanisches Merkbuch. Nachweis der beachtenswerten und zu schützenden urwüchsigen Sträucher, Bäume und Bestände im Königreich Preußen. Westpreußen, Berlin 1900; Wilhelm Heering, Forstbotanisches Merkbuch. Nachweis der beachtenswerten und zu schützenden urwüchsigen Sträucher, Bäume und Bestände im Königreich Preußen. Schleswig-Holstein, Berlin 1906; Bemerkenswerte Bäume im Großherzogtum Hessen in Wort und Bild. Herausgegeben vom Großherzoglichen Ministerium der Finanzen, Abteilung für Forst- und Kameralverwaltung, Darmstadt 1904; Emil Schlieckmann, Westfalens bemerkenswerte Bäume. Ein Nachweis hervorragender Bäume und Waldbestände, Bielefeld 1904; Friedrich Stützer, Die größten, ältesten oder sonst merkwürdigen Bäume Bayerns in Wort und Bild, München 1900; Königliche Württembergische Forstdirektion (Hg.): Schwäbisches Baumbuch, Stuttgart 1911.

 

[7] Gottfried Keller, Das verlorene Lachen, in Ders.: Die Leute von Seldwyla. Zweiter Band, Basel 1978, S. 264f.

 

[8] Hugo Conwentz, Forstbotanisches Merkbuch. Nachweis der beachtenswerten und zu schützenden urwüchsigen Sträucher, Bäume und Bestände im Königreich Preußen. Westpreußen, Berlin 1900, Vorwort.

 

[9] Ebda.

 

[10] Hugo Conwentz, Die Gefährdung der Naturdenkmäler und Vorschläge zu ihrer Erhaltung. Denkschrift, dem Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten überreicht, Berlin 1904; Hugo Conwentz, Die Heimatkunde in der Schule. Grundlagen und Vorschläge zur Förderung der naturgeschichtlichen und geographischen Heimatkunde in der Schule, Berlin 1904.

 

[11] Grundsätze für die Wirksamkeit der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen vom 22. Oktober 1906, in: Beiträge zur Naturdenkmalpflege, 1 (1910), S. 42-44.

 

[12] Ebda., S. 43.

 

[13] Hugo Conwentz, Die Gefährdung der Naturdenkmäler und Vorschläge zu ihrer Erhaltung. Denkschrift, dem Herrn Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten überreicht, Berlin 1904, S. 186f.

 

[14] Hermann Löns, Der Naturschutz und die Naturschutzphrase. Ein noch unbekannter Kampfruf von Hermann Löns, in: Der Waldfreund, 5. Jg. (1929), S. 4f.

 

[15] Ebda., S. 7.

 

Bildnachweis

Auch Bäume sind Naturdenkmale. Manchmal wehren sie sich allerdings gegen bürokratische Zuschreibungen. Aufnahme von Agnes Kneitz.

Der organisierte Naturschutz formierte sich um 1900 zunächst unter dem Namen "Naturdenkmalpflege". Vor dem Hintergrund heutiger Naturschutzbegründungen wie Biodiversität oder Prozessschutz erscheint die Intention, einzelne Objekte wie alte Bäume und Relikte wie Findlinge als Naturdenkmale zu schützen, verkürzt und angesichts der Destruktionspotenziale menschlicher Zivilisation als unangemessen. In der Etablierungsphase des Naturschutzes standen jedoch weder komplexe ökologische Zusammenhänge noch umfassende Territorien im Mittelpunkt der Bewahrbemühungen, sondern singuläre Naturphänomene oder einzelne Tier- und Pflanzenarten, die in musealisierender Absicht vor Nutzung oder Zerstörung geschützt werden sollten. Alsbald zeigte sich, dass dieser Ansatz den Dimensionen der Naturzerstörung in der Industriemoderne nicht gerecht werden konnte. Indes spielte die Konzentration auf einzelne Naturdenkmale insbesondere für die Institutionalisierung des staatlichen Naturschutzes eine große Rolle, wie sie durch die Gründung der "Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege" 1906 in Preußen unter Leitung von Hugo Conwentz vollzogen wurde. Diese Orientierung des frühen Naturschutzes an der Kunst- und Kulturdenkmalpflege verweist auf dessen ideengeschichtliche Einbettung in den Geist der Romantik und des Historismus. Nicht nur Menschenwerk, sondern auch ohne menschliches Zutun entstandenen Naturgebilden wurde der Status des Schutz- und Bewahrenswürdigen zuerkannt. Die Vorstellung einer denkmalhaft zu schützenden Natur korrespondierte mit der Erfahrung beschleunigter historischer Prozesse, durch die eine Einbindung in eine historische Kontinuität aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verloren schien. Das Naturdenkmal als symbolisches Merkzeichen sollte in der imaginierten Überzeitlichkeit der Natur Dauerhaftigkeit entgegensetzen. Es suggerierte in der Erfahrung eines umfassenden "Vertrautheitsschwundes" (Hermann Lübbe) Kontinuität und Dauerhaftigkeit.

 

 

1. Vorgeschichte

Der Begriff "Naturdenkmal" geht im deutschen Sprachgebrauch zurück auf Alexander Humboldt. Dieser ­erzählte im Bericht über seine zwischen 1799 und 1804 unternommene Forschungsreise nach Süd- und Mittelamerika über den "Zamang del Guayre", einen riesenhaften Mimosenbaum in den Tälern von Aragua in Venezuela. Er beschrieb ausführlich den Baum und bestimmte dessen Sitz im kulturellen Leben der Indianer: "Die Bewohner dieser Täler, besonders die Indianer, verehren den Zamang de Guayre (...) Dieser Zamang muß ebenso alt sein wie der Drachenbaum bei Orotava. Der Anblick alter Bäume hat etwas Großartiges, Imponierendes; die Beschädigung dieser Naturdenkmäler wird daher auch in Ländern, denen es an Kunstdenkmälern fehlt, streng bestraft."[1] Ähnlich sprach er auch über die identitätsstiftende Funktion besonderer Berge für vermeintlich geschichtslose Völker oder Gruppen.
Indes existierte die Vorstellung denkmalhafter Natur auch schon in den Naturwissenschaften des 18. Jahrhunderts, insbesondere der Geologie. So empfand etwa der Alpenreisende und Montblancbesteiger Horace de Benedicte Saussure (1740-1799) den Anblick besonderer Gesteinsformationen wie Findlinge als Einblick in frühere Epochen der Naturgeschichte: "Als ich diesen Gedanken zum erstenmal hegte, ward ich von einer ehrfurchtsvollen Bewun­derung dieser Felsen durchdrungen, die durch so viele Jahrtausende hindurch unversehrt stillschweigende Denkmale von einer der größten Veränderun­gen, die unsre Erdkugel betroffen hat, geblieben sind."[2]
Hier konstituierte sich also ein Denkmalbewusstsein, das sich auf Naturgebilde bezog. Die Romantik löste dieses aus naturwissenschaftlichen Zusammenhängen und übertrug den Erinnerungswert besonderer Bäume oder Orte auf die Dimensionen des Historischen. Deutlich wird diese Allianz aus Natursehnsüchten, romantischer Landschaftswahrnehmung und Geschichtsbewusstsein etwa an der Unterschutzstellung des Drachenfels bei Königswinter im Jahre 1836, der lange als das erste Naturschutzgebiet auf deutschem Boden firmierte. In der Auseinandersetzung mit den Nutzungsinteressen des Steinabbaus wurde hier der Schutz des Ensembles aus Ruine, romantischer Landschaft und umgebender Natur als höherwertig eingestuft und der Berg gerettet.

 

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2. Forstbotanische Merkwürdigkeiten und andere Naturzeugnisse

Im Zuge der Rationalisierung der Forstwirtschaft [Link: Nachhaltige Waldwirtschaft] war in Sachsen bereits 1847 das Interesse an alten, außergewöhnlichen oder besonders seltenen Bäumen erwacht und auf eine systematische Grundlage gestellt worden. Der alsbald übliche Begriff der "forstbotanischen Merkwürdigkeit" fängt anschaulich ein, woran sich dieses Interesse entzündete. Das Etikett des "Merkwürdigen" spielte nicht etwa auf Kurioses oder Anomales an. Es zielte im wörtlichen Sinne auf den Denkmalcharakter dieser "merk-würdigen" Objekte, die aufgrund ihrer symbolischen Merkfunktion erhalten und bewahrt werden sollten. Um besonders auffällig gewachsene oder rare Baumveteranen der holzverarbeitenden Nutzung zu entziehen, sollten sie in Sachsen erfasst, vermessen und geschützt werden. Hierzu wurden Fragebögen an die Oberforstmeister des Landes versandt. Damit triumphierte das Anliegen des Schutzes über den Primat des ökonomischen Nutzens, "indem es im Interesse der Wissenschaft für angemessen gehalten wird, davon nicht nur Kenntniß zu haben, sondern auch nach Befinden für die Erhaltung seltener Exemplare das Nöthige anzuordnen."[3]
Auch die zeitgenössische Forstwissenschaft attestierte, dass sich die Bedeutung des Waldes nicht nur in seiner nützlichen Funktion als Produktionsraum erschöpfe, wie Heinrich Burckhardt 1855 unterstrich: "Die lebendigen Monumente der Väter, die stattlichen Bäume, sie haben eine weitere Bedeutung, als bloße Quelle des Geldeinkommens zu sein."[4] Burckhardt verwies auf die ästhetischen und sozialen Bedeutungen des Waldes und auf seinen Stellenwert als Erinnerungsort: "Das Schönste freilich, was der Wald besitzt, sind seine altehrwürdigen Bäume (...) Die hohen Säulen mit ihrem gewölbten Laubdach, der alte Baumriese, sammt der wilden Felspartie, sie sind dem Naturfreunde mehr, als die Bauwerke von Menschenhand, denen der Kunstsinn huldigt. Alles hat zwar seine Zeit, und auch der alte Baumbestand muß endlich fallen, doch schone seiner, wo er eine seltene Erscheinung ist, bis andere Rücksichten ihr Recht fordern. Dem alten Eremiten aber, dem Zeugen mächtiger Naturkraft, an dem Jahrhunderte und ganze Generationen mit ihrer Geschichte vorüber gingen, der vielleicht unter den Millionen von Bäumen seinen besonderen Namen führt und weithin bekannt manchen längst schlummernden Sohn des Waldes unter seinem Dache sah, – ihm gönne seine Stätte, bis der Sturm ihn bricht oder sein letztes Blatt verblichen ist."[5]
Das Beispiel der sächsischen Bauminventare fand in anderen deutschen Einzelstaaten rasch Nachahmung. Zu Zeiten des Kaiserreiches entstanden für fast alle staatlichen Territorien Inventare der forstbotanischen "Merkwürdigkeiten" oder ästhetisch anspruchsvoll gestaltete Baumbücher.[6] Hier wird die Orientierung des frühen Naturschutzes am historistischen Geist der zeitgenössischen Kunst- und Kulturdenkmalpflege deutlich. Es ging zunächst um das Sammeln, Inventarisieren und Konservieren von bedrohten naturhistorischen Zeugnissen. Im Mittelpunkt der bewahrenden Aufmerksamkeit stand das Einzelobjekt, das freilich auf ein übergeordnetes Ganzes verwies – auf einen Zusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Diese Erinnerungsfunktion zu bewahrender Naturobjekte wird auch in Gottfried Kellers Novelle "Das verlorene Lachen" 1873/74 deutlich. In der in der Schweiz angesiedelten Erzählung avanciert der Protagonist, Jukundus, wider Willen zum Wirtschaftsemporkömmling. Er fühlt sich nach und nach zu einer modernen Wirtschaftsgesinnung angehalten und die Wälder seines Heimatraumes so zu nutzen, dass die bislang gültigen Regeln der Nachhaltigkeit und der Generationenverträge verletzt werden. Dieser ausbeuterische Umgang mit dem Wald scheint sich rücksichtslos über alle vorgefundenen Traditions- und Naturbestände hinwegzusetzen. Erst als ein Großteil der Wälder geschlagen ist, kommt es zur inneren Umkehr. Ein einzelner Baum wird nun zum Mahnmal gegen die Rücksichtslosigkeit des modernen Erwerbsgeistes gegenüber dem natürlichen und kulturellen Erbe. "Da wurde an einer schief und spitz sich ziehenden Bergleh­ne, welche der Wolf­hartsgeeren hieß, ein schönes Stück Mittelwald geschlagen. Aus demsel­ben hatte von jeher eine gewaltige Laub­kuppe geragt, welche eine wohl tausendjährige Eiche war, die Wolfharts­geereneiche genannt. In älteren Urkunden aber besaß sie als Merk- und Wahr­zeichen noch andere Namen, die darauf hinwiesen, daß einst ihr junger Wipfel noch in germanischen Morgenlüf­ten gebadet hatte. Wie nun der Wald um sie herniedergelegt war, weil man den mächtigen Baum für den be­sonderen Verkauf aufsparte, stellte die Eiche ein Monument dar, wie kein Fürst der Erde und kein Volk es mit allen Schätzen hätte errichten oder auch nur versetzen können. Wohl zehn Fuß im Durchmesser betrug der untere Stamm, und die waagrecht liegenden Verästun­gen, welche in weiter Ferne wie zartes Reisig auf den Äther gezeichnet schienen, waren in der Nähe selbst gleich mächtigen Bäumen. Meilenweit erblickte man das schöne Baumdenk­mal, und viele kamen herbei, es in der Nähe zu sehen."[7] Zielte die moderne Praxis der Holznutzung auf Entzauberung und Rationalisierung, wurde nun an einem einzelnen "merk-würdigen" Baum eine Wiederverzauberung vollzogen.

 

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3. Hugo Conwentz und die Institutionalisierung der "Staatlichen Naturdenkmalpflege"

In seinem "Forstbotanischen Merkbuch" für West­preußen stellte Hugo Conwentz explizit einzelne Naturdenkmale in ein überge­ordnetes Schutzanliegen: „Immer mehr wird das Antlitz der Natur in unserem Vaterland, wie in anderen Ländern, durch die fortschreitende Kultur verändert. Der Boden, welcher durch das Wirken der Naturkräfte im Laufe der Zeiten hervorgebracht ist, wird von Menschenhand wesent­lich umgestaltet und häufig auch ganz zerstört. (...) Soll nicht unser Volk der lebendigen Anschauung der Entwickelungsstadien der Natur gänzlich verlustig gehen, so ist es an der Zeit, die übrig gebliebenen hervorragenden Zeugen der Vergangenheit und bemerkenswerthe Gebilde der Gegenwart im Gelände auf­zusuchen, kennen zu lernen und möglichst zu schützen."[8]
Hugo Conwentz, seit 1880 Direktor des Westpreußischen Provinzialmuseums in Danzig, erweiterte nun in den Jahren um 1900 die Inventarisation der "forstbotanischen Merkwürdigkeiten" zu einem umfassenden Konzept der Naturdenkmalpflege. Er proklamierte die Frage der Natur als eine Frage des gesellschaftlichen Gemeinwohls: "Der Staat betrachtet es stets als eine seiner vornehmsten Aufgaben, neben den ihm anvertrauten materiellen, auch den ideellen Gütern seine Fürsorge zu widmen. Schon lange ist er erfolgreich bestrebt, die Denkmäler frühzeitiger Kunst und Kultur zu pflegen und zu erhalten; jetzt soll sich das erweiterte Interesse der Gegenwart auch den Denkmälern der Natur in gleicher Weise zuwenden."[9]
Im Gegensatz zur ästhetisch motivierten Kritik des Heimatschutzes, war sein Zugang primär ein naturwissenschaftlicher. Als Paläobotaniker war ihm der Schutz einzelner naturgeschichtlicher Relikte und Raritäten ein konservatorisches Anliegen. Conwentz wurde für zwei Jahre von seiner Tätigkeit als Museumsdirektor befreit, um sich der systematischen Konzeption eines staatlichen Naturschutzes für Preußen zu widmen. 1904 legt er in zwei voluminösen Bänden als Ergebnis seine Denkschrift zu Naturschutz und Heimatkunde vor.[10]
Eine "Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege" in Preußen, so die Vorstellungen von Conwentz, sollte zunächst vor allem wissenschaftliche Aufgaben erfüllen und beratend zwischen dem ehrenamtlichen Naturschutz und dem Staat vermitteln. 1906 erfolgte die Gründung der "Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege" in Danzig, die bald nach Berlin übersiedeln sollte. In den "Grundsätzen für die Wirksamkeit der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen" wurden die Gegenstandsbereiche der Naturdenkmalpflege festgesetzt, nämlich "charakteristische Gebilde der heimatlichen Natur (...), vornehmlich solche, welche sich noch an ihrer ursprünglichen Stätte befinden, seien es Teile der Landschaft oder Gestaltungen des Erdbodens oder Reste der Planzen- und Tierwelt". [11] Der § 3 listete die Aufgaben der "Staatlichen Stelle" auf:
"1. die Ermittelung, Erforschung und dauernde Beobachtung der in Preußen vorhandenen Naturdenkmäler,
2. die Erwägung der Maßnahmen, welche zur Erhaltung der Naturdenkmäler geeignet er­scheinen,
3. die Anregung der Beteiligten zur ordnungsgemäßen Erhaltung gefährdeter Naturdenkmäler, ihre Beratung bei Feststellung der erforderlichen Schutzmaßregeln und bei Aufbringung der zur Erhaltung benötigten Mittel."[12]
Damit war vor allem die Unberührtheit des Objektes als Kriterium seiner Schutzwürdigkeit festgeschrieben. In der Definition wird freilich auch deutlich, wie schwierig es war, ein Naturdenkmal eindeutig zu definieren. War anfänglich nur von einzelnen Objekten die Rede, wurde der Begriff alsbald erweitert auf umfassendere landschaftliche Ensembles, Lebensräume wie Moore oder biologisch zu definierende Tier- und Pflanzenarten u.a. Die Erweiterung des Naturdenkmalbegriffs spiegelt auch den Wandel des Problembewusstseins im zeitgenössischen Naturschutz um 1900 und dokumentiert seine Erweiterung von einem zunächst eher musealisierenden Einzelinteresse hin zu einem effektiven Instrument dar, das auch größere und komplexere Naturphänomene in ein Schutzkonzept zu integrieren vermochte. In seiner Denkschrift hatte Conwentz 1904 noch die Ursprünglichkeit und Unberührtheit als Schutzkriterien postuliert. Er schrieb fest, "dass unter Naturdenkmal etwa ein ursprünglicher, d.i. ein von kulturellen Einflüssen völlig oder nahezu unberührt gebliebener, lebloser oder belebter charakteristischer Naturkörper im Gelände, bezw. ein ursprünglicher charakteristischer Landschafts- oder Lebenszustand in der Natur, von hervorragendem, allgemeinem oder heimatlichem, wissenschaftlichem oder ästhetischem Inter­esse verstanden wird."[13] Bald wurde die Beschränkung auf Einzelobjekte überwunden; jetzt galten auch Landschaftsteile, Lebensräume, Banngebiete oder Naturschutzgebiete als "Naturdenkmale".

 

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4. "Pritzelkram" (Hermann Löns) – Kritik an der staatlichen Naturdenkmalpflege

Die Konzeptualisierung als "Naturdenkmalpflege" macht Stärke und Schwächen des frühen Naturschutzes deutlich. Einerseits gelang mit dieser programmatischen und schutzstrategischen Orientierung eine rasche gesellschaftliche Akzeptanz der Naturschutzanliegen als Frage des gesellschaftlichen Allgemeinwohls. Die Arbeit der "Staatlichen Stelle" Preußens genoss zudem hohe internationale Anerkennung und Rezeption. Auf der anderen Seite bedeutete die Konzentration auf Einzelobjekte von vornherein eine starke Selbstbeschränkung. Im Vordergrund stand die Bewahrung von Relikten; thematisiert wurden nicht die Zusammenhänge von Ökonomie und Ökologie. Vor dem Hintergrund beschleunigten gesellschaftlichen Wandels wurde bedrohte Natur als Repräsentantin untergegangener und just hinab dämmernder historischer Zeiten wahrgenommen. Ob als "Naturdenkmal" oder als "Natur­schutzgebiet" – das Bewahren der Natur folgte dem Prinzip der Musealisierung. Während Memorialinseln vergangener Naturzustände gerettet wurden, vollzog sich außerhalb dieser Enklaven ungebrochen die Entfaltung jenes industriellen Systems, das doch eigentlich als Verursacher der beklagten Natur- und Umweltschädigungen diagnostiziert worden war.
So ließ denn auch die Kritik an diesen frühen Naturschutzkonzepten nicht lange auf sich warten. Hermann Löns denunzierte den staatlichen Naturschutz in einem Vortrag 1911 als harmlose "Naturdenkmälerchensarbeit": "Es klingt bitter, aber es ist so: Die amtliche Naturdenkmalpflege erweckt immer mehr den Verdacht, als arbeite sie einem großzügigen, wirkungsvollen Natur­schutz entgegen. Sie schützt Belanglosigkeiten, arbeitet im Detail, hemmt aber eine Bewegung, die sich auf das Ganze richten muß. Sie ist eben amtlich, muß büreaukratisch vorgehen, darf um Himmelswillen Niemand auf die Zehen treten, nicht Sturm läuten, nicht das Nothorn blasen."[14] Und weiter: "Pritzelkram ist der Naturschutz, so wie wir ihn haben. Der Naturverhunzung dagegen kann man eine geniale Großzügigkeit nicht absprechen. Sie fährt Auto im 80 Kilo­metertempo; der Naturschutz kraucht knickebeinig hinterdrein. Die Naturverhunzung arbeitet 'en gros'; der Naturschutz 'en detail'. Die Naturverhunzung herrscht, der Naturschutz steht in ihren Diensten."[15] Bei aller Kritik avancierte jedoch die Idee des Naturdenkmals zum wichtigsten Leitbild in den wilhelminischen Naturschutzbewegungen. In dieser Idee schienen wesentliche ihrer Anliegen aufgehoben: die der reflektierten Bestandssicherung des natürlichen Erbes, das in einer Zeit des Überganges und Wandels in Gegenwart und Zukunft herübergerettet werden sollte.

 

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5. Das Naturdenkmal als Schutzgut und Instrument des Naturschutzes

Die enge Verschwisterung des Naturschutzes mit der Denkmalpflege wirkte auch nach dem Ersten Weltkrieg weiter. In § 150 der Weimarer Verfassung wurde der Schutz der Natur 1919 als Angelegenheit staatlicher Fürsorge verankert. Dort hieß es: "Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates." Der staatliche Naturschutz firmierte noch bis 1935 als "Naturdenkmalpflege". Mit dem Erlass des Reichsnaturschutzgesetzes erfolgte auch nach außen hin die nominelle Öffnung zum gesamten Naturschutz durch die Bezeichnung "Reichstelle für Naturschutz". Auch im Reichsnaturschutzgesetz blieb das Naturdenkmal ein wichtiges Schutzgut, das kleinere Flächen und Einzelobjekte umfasste. Dies konnten geologische Phänomene (Felsgruppen, Höhlen oder Findlinge), limnologische Erscheinungen (Wasserfälle oder Quellen), zoologische oder botanische Naturdenkmale (Bibervorkommen, Fledermausquartiere, Einzelbäume, Wacholderheiden), aber auch volkskundlich-historische Zeugnisse (Gerichtslinden, Parks u.a.) sein.
Nach 1945 wurde die Kategorie des Naturdenkmals in das Naturschutzgesetz der DDR von 1954 sowie in das Bundesnaturschutzgesetz von 1976 übernommen. Auf dem Territorium der BRD genossen 1970 rund 40.000 Objekte den Status eines Naturdenkmals; in der DDR waren es über 10.000 Naturdenkmäler. Auch heute ist die Naturdenkmalpflege noch ein Instrument des Naturschutzes, das sich auf natürliche Objekte oder Artefakte beziehen kann. Im Vergleich zu anderen Naturschutzansätzen (Landschaftsschutz, Ressourcenschutz, Prozessschutz u.a). hat sie stark an Bedeutung verloren.

 

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Verantwortlich für diesen Erinnerungsort: Friedemann Schmoll

 

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