Das Mühlrad
Kapitelübersicht - Vormoderne Umwelten - Das Mühlrad
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Wege der Erinnerung
Verwandte ThemenDas Windrad, Die Laufenburger Stromschnellen, Der Rammelsberg, Grenzen des Wachstums, Der romantische Rhein, Die blaue Blume
LiteraturGünther Bayerl (Hg.), Wind- und Wasserkraft. Die Nutzung regenerierbarer Energiequellen in der Geschichte, Düsseldorf 1989.
Dietmar Bleidick, Art. "Mühle", in: Enzyklopädie der Neuzeit 8 (2008), Sp. 811-816.
Jean-Claude Debeir, Jean-Paul Deléage, Daniel Hémery, Siglinde Summerer, Prometheus auf der Titanic. Geschichte der Energiesysteme, Frankfurt a. M. [u.a.] 1989.
John H. Munro, Industrial Energy from Water-Mills in the European Economy, 5th to 18th Centuries. The Limitations of Power, in: Simonetta Cavaciocchi (Hg.), Economia e Energia Secc. XIII-XVIII (Atti delle "Settimane di Studi" e altri Convegni, Bd. 34), Florenz 2002, S. 223-269.
Michael Mende, Das Interesse an der Wasserkraft-Nutzung im Wechsel von Verdrängung und Belebung: Voraussetzungen von Wasserrädern für die Nutzung kleiner Wasserkräfte, in: Gerhard A. Stadler, Anita Kruse (Hrsg.), Technik zwischen Akzeptanz und Widerstand. Gesprächskreis Technikgeschichte 1982-1996 (Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt, Bd. 8), Münster [u.a.] 1999, S. 40-49. Joachim Radkau, Technik in Deutschland. Vom 18. Jahrhundert bis heute, Frankfurt a. M. [u.a.] 2008. Terry S. Reynolds, Stronger than a Hundred Men. A History of the Vertical Water Wheel, An Arbor 21998. Vaclav Smil, Art. "Water Energy", in: Encyclopedia of World Environmental History 3 (2004), S. 1303-1305. Örjan Wikander, The Water-Mill, in: Ders. (Hg.), Handbook of ancient water Technology (Technology and Change in History, Bd. 2), Boston [u.a.] 2000, S. 371-400.
Fußnoten[1] Vgl. Günter Bayerl, Ulrich Troitzsch, Die vorindustrielle Energienutzung, in: Claus Grimm (Hg.), Aufbruch ins Industriezeitalter. Aufsätze zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bayerns, München 1985, S. 44f.
[4] http://www.ohwr.de/unesco- weltkulturerbe.html, 01.02.2013.
[5] Auf der Internetpräsenz der "Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung" ist ein sehenswertes Video zu dem Müller-Arnold-Fall zu finden: http://vimeo.com/39785181#, 25.01.2013.
[6] Vgl. Tilman Repken, Der Müller Arnold und die Unabhängigkeit des Richters im friderizianischen Preußen, in: Ulrich Falk, Michele Luminati (Hg.), Fälle aus der Rechtsgeschichte, München 2008, S. 228.
[7] Friedrich II. im Erlass an v. Zedlitz, 2.1.1780, zitiert nach: Monika Wienfort, Gesetzbücher, Justizreformen und der Müller-Arnold-Fall, in: Bernd Sösemann, Gregor Vogt-Spira (Hg.), Friedrich der Grosse in Europa. Geschichte einer wechselvollen Beziehung. Stuttgart 2012, S. 44.
[8] Vgl. Anonymus, Zur Erinnerung an Friedrich den Großen, Berlin 1840, S. 45.
[9] Vgl. David M. Luebke, Frederick the Great and the Celebrated Case of the Millers Arnold (1770-1779). A Reappraisal, in: Central European History 32 (1999), S. 402-408.
[10] Vgl. Klaus Schlottau, Das Recht der Nutzung von Wind- und Wasserkraft bis zum 19. Jahrhundert, in: Günther Bayerl (Hg.), Wind- und Wasserkraft. Die Nutzung regenerierbarer Energiequellen in der Geschichte, Düsseldorf 1989, S. 163.
[11] Vgl. Dietmar Bleidick, Art. „Mühle", in: Enzyklopädie der Neuzeit 8 (2008), Sp. 813-815.
[12] Anonymus, Art. „Müller", in: Johann Heinrich Zedler (Hg.), Grosses vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Bd. 22, Leipzig [u.a.] 1739, Sp. 190f.
[13] Vgl. Günter Bayerl, Herrn Pfisters und anderer Leute Mühlen. Das Verhältnis von Mensch, Technik und Umwelt im Spiegel eines literarischen Topos, in: Harro Segeberg (Hg.), Technik in der Literatur, Frankfurt a. M. 1987, S. 54.
[14] Vgl. Dietmar Bleidick, Art. „Mühle", in: Enzyklopädie der Neuzeit 8 (2008), Sp. 815.
[15] Vgl. Michael Mende, Frühindustrielle Antriebstechnik – Wind- und Wasserkraft, in: Ulrich Wengenroth (Hg.), Technik und Wirtschaft, Düsseldorf 1993, S. 295f.
[16] Vgl. Joachim Radkau, Technik in Deutschland. Vom 18. Jahrhundert bis heute, Frankfurt a. M. [u.a.] 2008, S. 32.
[17] Vgl. Michael Mende, Das Interesse an der Wasserkraft-Nutzung im Wechsel von Verdrängung und Belebung: Voraussetzungen von Wasserrädern für die Nutzung kleiner Wasserkräfte, in: Gerhard A. Stadler, Anita Kruse (Hrsg.), Technik zwischen Akzeptanz und Widerstand. Gesprächskreis Technikgeschichte 1982-1996 (Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt, Bd. 8), Münster [u.a.] 1999, S. 48f.
[18] Vgl. Vaclav Smil, Energy in World History, Boulder 1994, S. 225.
[19] Vgl. David Blackbourn, Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft, München 2007, S. 229ff. [Kap. 4 "Dämme bauen"].
[20] Vgl. Dorothea Schmidt, "Small is Beautiful" – "Small is Awful"? in: Reinhold Reith, Dies. (Hrsg.), Kleine Betriebe, angepasste Technologie? Hoffnungen, Erfahrungen und Ernüchterungen aus sozial- und technikhistorischer Sicht (Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt, Bd. 18), Münster [u.a.] 2002, S. 13.
[21] Paul Schultze-Naumburg, Kraftanlagen und Talsperren, in: Der Kunstwart 19 (1906), S. 130f.
[22] Werner Lindner, Ingenieurwerk und Naturschutz, Berlin 1926, S. 13.
[23] Vgl. Michael Mende, Frühindustrielle Antriebstechnik – Wind- und Wasserkraft, in: Ulrich Wengenroth (Hg.), Technik und Wirtschaft, Düsseldorf 1993, S. 290.
[24] http://www.spiegel.de/wissenschaft /technik/erneuerbare-energien-25-000- wassermuehlen-klappern-fuer-sauberen- strom-a-661710-druck.html, 07.02.2013 oder eine Dokumentation des Bayerischen Fernsehens: http://www.br.de/fernsehen /bayerisches-fernsehen/sendungen /faszination- wissen/wasserkraft100.html ?time=0.713, 18.02.2013.
BildnachweisBild des holländischen Landschaftsmalers Jacob Isaackszoon van Ruisdael aus den 1650er Jahren. Es zeigt drei unterschlächtige Mühlräder sowie eine Person, die das zugehörige Mühlwehr regulieren (Quelle: Jacob Isaackszoon van Ruisdael: Two Watermills and an Open Sluice near Singraven, in: Web Gallery of Art; http://www.wga.hu/index1.html, 08.03.2013).. |
Kommt Ihnen die folgende Situation vertraut vor? Ein warmer Sommertag lockt zu einer (Rad-)Wanderung ins Grüne mit Zwischenstopp an einer zu einem Ausflugslokal umfunktionierten Wassermühle. Vor der Geräuschkulisse des rauschenden Baches und des vielleicht heute noch klappernden Mühlrades wird schnell klar: Idylle pur! Vielen ist die Wassermühle bzw. das Mühlrad heute in erster Linie zum Sinnbild eines harmonischen Einklanges zwischen Natur und Mensch geworden. Doch wird sich die Suche nach dem zeithistorischen Äquivalent dieses Zustandes einer "Heilen-Welt" als ein beschwerliches, mit ziemlicher Sicherheit erfolgloses Unterfangen erweisen. Zwar ist die Mühle unvergessen und lebendig in unserem Bewusstsein erhalten geblieben, doch geben die vorherrschenden Zuschreibungen, wie Naturverbundenheit, Romantik, Idylle und Nostalgie, letztlich wenig Einblicke in den damaligen Alltag von Müllerin und Müller. Sie sind vielmehr als konstruierte Überbleibsel zurückliegender polarisierender Debatten oder hochstilisierter literarischer Ergüsse zu betrachten.
1. Vorgeschichte: Mühlenboom im Mittelalter
Als Vermittler zwischen agrarischer Produktion und Weiterverarbeitung bzw. Veredelung der landwirtschaftlichen Ressourcen zu Nahrungsmitteln war das Mühlrad schon in der Antike bekannt, doch blieb der Nutzen der Wasserkraft noch deutlich hinter der dominierenden menschlichen und tierischen Muskelkraft zurück. Bis zum Mittelalter dehnte sich die Wasserkraftnutzung in Europa aus, ohne dass die Aneignung dieser neuen Technologie eine Verdrängung anderer altbewährten Antriebsformen bedingte. Einerseits erleichterte die Wassermühle die vorindustriellen Verarbeitungsgänge erheblich, andererseits begleitete die Wasserkraftnutzung durch die Jahrhunderte ein entscheidender Nachteil: ihre im Vergleich zu menschlicher oder tierischer Arbeitskraft unzuverlässige Betriebskraft. Die Leistungsfähigkeit des Mühlrades blieb von Wetter und Jahreszeiten abhängig. Stockender Betrieb bei niedrigen Wasserständen an heißen Sommertagen bis hin zum Totalausfall bei Vereisung oder längeren Trockenperioden waren die Regel. Aufgrund dieser Probleme trat die Wasserkraft vielmehr als ergänzende, nicht verdrängende Antriebskraft zu den bereits Etablierten hinzu.[1] Im Spätmittelalter avancierte die Wassermühle schließlich zu einer der vorherrschenden Umsetzungsmaschinen. Ihre Abhängigkeit von den geografischen Begebenheiten führte jedoch zu einem räumlich akzentuierten Erscheinungsbild mit Schwerpunkten in den naturräumlich prädestinierten hügeligen Gewerbe- und Bergbauregionen Mitteleuropas: Die Rohstoffverarbeitung folgte dem Energieangebot, nicht die Energie dem Rohstoff. Alternative Antriebsmaschinen, wie Pferdegöpel oder Windmühlen, waren nur an Standorten konkurrenzfähig, an denen es an Zugang zu verwertbarer Wasserenergie fehlte, etwa in den flachen nordeuropäischen Küstenebenen. Einhellig betonen Historiker heute die tragende Rolle der Wassermühle für die ökonomische Entwicklung des Mittelalters. Doch bleibt fraglich, ob sie trotz ihrer regionalen Verbreitungsunterschiede und ihres noch geringen Grades an gewerblicher Diversifizierung den Ausgangspunkt einer "Industriellen Revolution" des Mittelalters bilden konnte.[2]
2. Diversifizierung in der Frühen Neuzeit
Mit dem Übergang zur Frühen Neuzeit "reifte" diese Antriebsart sukzessive zur "Basismaschinerie" diverser gewerblicher Verarbeitungsprozesse.[3] Technische Innovationen erweiterten das Spektrum der mechanisierten gewerblichen Produktionsvorgänge von der traditionellen rotierenden Anwendung um gradlinige Bewegungsabläufe. Durch die Kraft des Wassers konnte nun nicht mehr nur ein rotierender Mahlstein in Bewegung gesetzt werden, es wurden fortan auch Stoffe gewalkt, Erzbrocken zerschlagen und Holz gesägt. Diese gewerbliche Diversifizierung führte die Nutzung des Mühlrades im Laufe der Frühen Neuzeit in den gewerblichen Zentren an ihre Grenzen; die Flüsse talaufwärts bis auch jedes noch so kleine Gefälle mit Wasserrechten besetzt war. Den Unregelmäßigkeiten der Natur (z.B. Wasserstandsschwankungen) begegnete man zur effizienten Energiegewinnung mit einer raumgreifenden Speicher- und Wassertechnik, die von der Errichtung einzelner Mühlgräben und Stauweiher bis hin zu umfassenden Infrastruktursystemen reichen konnte. In dem Oberharzer Bergbau wurde frühzeitig ein ausgeklügeltes und einzigartiges Netz von Teichen, Gräben und Stauanlagen angelegt, ohne welches das frühneuzeitliche Montanwesen, wie beispielsweise am Rammelsberg, niemals die Bedeutung erlangt hätte, die ihm heute noch nachhallt. Als "Denkmal von Weltrang" lebt das UNESCO-Weltkulturerbe Oberharzer Wasserwirtschaft in unserem kulturellen Gedächtnis fort.[4] Die Oberharzer Wasserwirtschaft zeigt, wie umfassend schon vorindustrielle Gesellschaften die naturgegebenen Grenzen der Wasserkraftnutzung durch technologische Überformung zu überspielen versuchten. Schon in der Frühen Neuzeit waren die Bäche und Flüsse intensiv und multifunktional genutzte Landschaften, deren Nutzung vielerorts mit einer Überbeanspruchung der Umwelt einherging, die zum Teil bis in die heutige Zeit nachwirkt. Das Beispiel räumt demnach mit der verfälschten – aber heute immer noch anzutreffenden – Vorstellung einer weitgehend unberührten Naturlandschaft vor der Industrialisierung im 19. Jahrhunderts auf.
3. Der Fall Müller Arnold I: Der König und der Müller
Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurde eine Wassermühle am Rande des Dorfes Pommerzig, in der preußischen Neumark, Schauplatz eines geschichtsträchtigen Rechtsstreites.[5] Der Besitzer, der Grundherr Graf von Schmettau, hatte seine Mühle schon seit vielen Jahren an den Müller Arnold und seine Frau Rosine verpachtet, die an ihren Grundherren eine jährliche Abgabe, den Mühlzins, zu entrichten hatten. Doch gerieten die beiden mit ihren Abgaben mehrfach in Rückstand, wofür der Müller den Landrat von Gersdorff verantwortlich machte. Dieser hatte auf seinem Gut oberhalb der Mühle drei Karpfenteiche angelegt, die durch das Wasser des Mühlenbaches gespeist wurden. Der Landrat grub der Mühle somit sprichwörtlich das Wasser ab, weshalb dieser seinem Grundherren den ausstehenden Zins schuldig bleiben musste. Graf von Schmettau klagte auf Zahlung und obsiegte in allen gerichtlichen Instanzen. Als Arnold im Jahre 1778 immer noch nicht gezahlt hatte, wurde die Mühle schließlich zwangsversteigert – ausgerechnet an den Landrat, der die Wassermühle zu einem Spottpreis verhökerte.[6] Nachdem die Gegenklage des Müllerpaares an allen gerichtlichen Instanzen gescheitert war, wandte sich die Müllerin mit einer "Supplik", einer Bittschrift, direkt an den König. Friedrich der Große, der den Müller im Recht sah, schaltete sich ein, zitierte die verantwortlichen Richter in sein Schloss und befahl, dass der Gerichtsbeschluss revidiert werden müsse: "Wenn einer eine Mauer auf seinem territorio so hoch aufführt, dass er einem Windmüller dadurch den Wind nimmt, muß er ihm denn nicht den Schaden ersetzen? Ist es nun nicht eben so, wenn man einem Wassermüller das Wasser nimmt?"[7] Doch waren die Richter nicht willens von ihrer Entscheidung abzurücken: Sie hätten schließlich nur nach dem gültigen Recht geurteilt. Der König entbrannte angesichts dieser Sturköpfigkeit. Er setzte sich über sämtliche Rechtsinstanzen hinweg und verordnete, dass der Müller entschädigt, die Karpfenteiche zugeschüttet, der Landrat Gersdorff all seiner Ämter enthoben und alle beteiligten Richter eingekerkert werden sollen.
4. Der Fall Müller Arnold II: Seine Wirkungsgeschichte
Dieser Rechtsstreit erlangte schnell überregionale, zuweilen europaweite, Aufmerksamkeit und entfachte unter den Zeitgenossen eine hitzige Diskussion darüber, wem hier eigentlich Unrecht getan wurde. Die gehobene Berliner Gesellschaft stand auf der Seite der Richter. Sie boten dem eigenwilligen Eingreifen des Königs, der zuvor stets die Unabhängigkeit der Justiz betont hatte, die Stirn, indem sie den Richtern durch das Herbeischaffen diverser Leckereien den Gefängnisaufenthalt versüßten. Außerhalb der Stadtmauern erntete Friedrich, von dem einfachen preußischen Bürger bis hin zu dem Intellektuellen, der in den Pariser "Salons" verkehrte, überwiegend Zuspruch. Während der Müller-Arnold-Fall in der Erinnerung an Friedrich den Großen schnell zur Legende wurde, als Ausdruck der Güte und Gerechtigkeit des Königs gegenüber seinen Untertanen[8], sorgte der Fall in der Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts noch lange Zeit für Diskussionsbedarf. War das Eingreifen Friedrichs zu Gunsten des Müllers Arnold tatsächlich die "Justizkatastrophe", von der einige Historiker sprechen, oder beharrt der andere Teil der Historiker zurecht auf das rechtmäßige Einschreiten Friedrichs? Auffällig sind die unverkennbaren Parallelen dieses Historikerdiskurses zu der polarisierten zeitgenössischen Auseinandersetzung. Hat sich die Geschichtsschreibung von dieser anstecken lassen? Inzwischen insistieren Historiker wie David M. Luebke darauf, dass der Fall differenzierter und vor seinem zeitgenössischen Hintergrund bewertet werden müsse. So gehörte beispielsweise das Anrufen der höchsten Instanz im Preußen des 18. Jahrhunderts mittels "Suppliken" ebenso zur gängigen Praxis der Zeit Friedrichs, wie sein direkter Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz (insgesamt 33 mal während seiner Herrschaftszeit).[9]
5. Das Mühlenrecht
Um den Zugang zum Wasser der Flüsse und Bäche rankten sich von je her verschiedene Nutzergruppen. Zu den althergebrachten Nutzungsweisen, wie Schifffahrt, Fischerei sowie der Bewässerung agrarischer Flächen, gesellte sich mit der Ausweitung der Wassermühle ein neuer Nutzungsanspruch. Im Spannungsfeld der divergierenden Interessen waren die Mühlen keinesfalls immer die Leidtragenden, wie etwa im Fall des Müllers Arnold. Oft gaben die für eine effiziente Energiegewinnung erforderlichen wasserbaulichen Eingriffe Anlass für Streitigkeit zwischen den Flussnutzern. Fischer beklagten sich über den Rückgang ihrer Fischgründe, an das Gewässer angrenzende Bauern beanstandeten die Überschwemmung ihrer Kulturflächen als Folge der Aufstauung des Mühlwassers. Es verlangte demnach schon frühzeitig nach rigiden Nutzungsvorschriften, die zwischen den konfligierenden Interessen vermittelten. Beispielsweise manifestierte sich der Eichpfahl, der die maximale Stauhöhe oberhalb der Wassermühle festlegte, zum sichtbaren Kompromiss nicht nur zwischen den Interessen der gewerblichen und der agrarischen Nutzung, sondern auch zwischen den dicht aufeinanderfolgenden Wassermühlen selbst.[10] Diese Rechtsvorschriften wurden in die bestehenden Mühlenordnungen integriert, die im Laufe der Frühen Neuzeit durch Aufnahme immer neuer wasserrechtlicher Bestimmungen zunehmend komplexer wurden und sich so nach und nach zu einem landesweiten Wasserrecht ausweiteten. Die Mühlenordnungen können demnach als historischer Kern des heutigen Wasserrechts gelten.
6. Die täuflische (und erotische) Mühle
Die Entwicklungsgeschichte der Wassermühle hat sich nicht nur in einem fachlichen Diskurs um rechtliche und technologische Fragen, sondern ebenso in einem literarischen Erbe niedergeschlagen. Die Dichter und Denker der Frühen Neuzeit übersteigerten die Mühle zum geheimnisvollen Ort des Spukes, dämonischer Gewalt oder ausschweifender Liebeslust.[13] So kontrastreich wie die Mühle präsentierten sich in den neuzeitlichen Dichtungen und Volksliedern auch die Beschreibungen von Müller und Müllerin in ihren jeweiligen Sonderrollen: der betrügerische Müller, im Pakt mit dem Teufel stehend, der in seiner Gier und Verschlagenheit die Abhängigkeiten der Bauern von seinem Gewerbe rücksichtslos zu seinem Vorteil auszunutzen wusste. Demgegenüber verkörperte die Müllerin erotische und triebhafte Lust sowie Untreue. Die abgeschottete Lebensweise, oft fernab jeglicher Zivilisation, machte Müllerin und Müller unter vielen Zeitgenossen zum berüchtigten Objekt von Mutmaßungen und Verdächtigungen. Durch die zentrale Bedeutung von Mühle, Mühlrad und Müllersleuten für die Nahrungsmittelversorgung erhielt die Legendenbildung zusätzlichen Auftrieb. In verblasster Form treten diese symbolischen Zuschreibungen auch heute noch in Erscheinung. So spielt der Name des Pariser Vergnügungsetablissements Moulin Rouge auf das klischeehafte Bild der "schönen Müllerin" an.[14] Wer erinnert sich nicht an das Kinderlied "Es klappert die Mühle am rauschenden Bach, klipp klapp" oder an Wilhelm Buschs Geschichten von Max und Moritz, in der es schließlich der Müller als letzte Instanz vermag, den Unruhestiftern den Garaus zu machen.
7. Von der Dampfmaschine zu Grabe getragen?
Der überragende Stellenwert des Mühlrades für die vorindustrielle Zeit begründet sich darin, dass der Wärme-Kraft-Umwandlung, der Transformation einzelner Energieformen, im vorindustriellen Energiesystem enge Grenzen gesetzt waren. Der vorindustrielle Energieträger par excellence, das Holz [Nachhaltige Waldwirtschaft], blieb auf seinen Einsatz als Brennstoff beschränkt. Die Wasserkraft war, abgesehen von der Windkraft, die einzige Möglichkeit, durch Verwertung naturgegebener Ressourcen Bewegungsenergie zu erzeugen.[15] Im 19. Jahrhundert trat mit der mittlerweile effektiv arbeitenden Dampfmaschine eine weitere Möglichkeit der Wärme-Kraft-Umwandlung auf den Plan, die in unserer Erinnerung an diese Zeit als "Motor der industriellen Revolution" bis heute dominiert; gleichsam gilt das Mühlrad als typischer Vertreter einer vorindustriellen Technik. In der Denkweise dieser Stereotypen werden jedoch wichtige Entwicklungsschritte des Mühlrades verdeckt. Die meisten Betriebe in den wasserreichen, gebirgigen Regionen hielten bis weit in das 19. Jahrhundert bevorzugt an der "kostenlosen" Wasserkraft fest.[16] Binnen weniger Jahrzehnte entwickelte sich die auf handwerklichen Erfahrungen und Traditionen berufene technische Entwicklung des Wasserrades zu einer auf exakten messtechnischen Berechungsmethoden basierenden "verwissenschaftlichten" Disziplin, die die konstruktiv-technische Entfaltung des Mühlrades erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zum Höhepunkt führten. Die Wirkungsgrade des Mühlrades wurden kontinuierlich verbessert und an den gestiegenen Kraftbedarf angepasst[17]; die technologische Innovation schlecht hin, die Turbinentechnik, sowie ihr Anschluss an die Elektrotechnik veranlasste viele Ingenieure den Betrieben noch am Ende des 19. Jahrhunderts die Beibehaltung der Wasserkraft nahezulegen.
8. Fortschrittsfreunde vs. Fortschrittsfeinde: "Überlebte Anachronismen" oder Topos einer heilen Welt?
Die technologische Weiterentwicklung ermöglichte der Wasserkraftnutzung am Ende des 19. Jahrhunderts einen Aufstieg in bis dahin unbekannte Dimensionen. Talsperren und anderen hydroelektrische Großprojekte, wie das Wasserkraftwerk Laufenburg, wuchsen vielerorts aus der Landschaft und wurden in der Rhetorik eines von Ingenieuren und Industriellen angestimmten großtechnischen Fortschritt-Diskurses als Allheilmittel sämtlicher Wasser- und Umweltprobleme gefeiert und zum Sinnbild der "Eroberung der Natur".[19] In diesem Wortklang wurden althergebrachte Techniken, wie etwa das Mühlrad, ungeachtet ihrer konstruktiv-technischen Weiterentwicklung als "überlebte Anachronismen", als Zeitzeugen eines technologisch überholten Zeitalters abgestempelt.[20]
9. Das "große Mühlensterben"
Das Mühlrad, das den Charakter unseres Kulturlandschaftsraumes über Jahrhunderte geprägt hat, blieb auch beim Übergang ins 20. Jahrhundert von funktionaler Bedeutung. Zunehmend stachen jedoch die Vorteile der neuen großtechnischen Systeme ins Auge. Als Folge der Ausbreitung der großen Kunst- und Handelsmühlen setzte ab den 1930er und 1940er Jahren der schleichende Niedergang, die Stilllegung und der Verfall, vieler kleiner Wassermühlen ein. Doch wurde dieser von den Zeitgenossen kaum registriert; zu sehr war das produzierende Gewerbe an immer neuen Größenordnungen des technischen Fortschritts in der Energieversorgung ausgerichtet.[23] Die Überzeugung von den Vorteilen großtechnischer Systeme und der neuen Energiequelle Öl setzte sich bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, weit über das "Wirtschaftswunder" hinaus, fort.
10. Das Rad neu erfinden
Im Gefolge der Ölkrise in den 1970er Jahren und einer von dieser angestoßenen ersten energiepolitischen Diskussion sind frühere regenerative Energien, wie Wind- und Wasserkraft, gewissermaßen "wiederentdeckt" worden. Zwar hat sich das Interesse am Fließgewässer von dem früheren Primat des Ge- und Verbrauchs des Wassers hin zur Renaturierung und Reduzierung der Belastung in heutiger Zeit grundlegend verändert, dennoch erfährt die Folgenutzung der kleineren Wassermühlen – wenn auch nicht ohne Widerstand – heute wieder erhöhte Aufmerksamkeit. Dieses dokumentiert sich in einer Aufwertung solcher Standorte für verschiedene Zwecke: Als Denkmäler einer verschwundenen Handwerks- und Industriekultur konservieren viele zu Freilichtmuseen umfunktionierte Mühlen das handwerkliche Wissen vergangener Tage. Neue touristische Konzepte, wie Mühlenwanderwege oder Freizeiteinrichtungen wurden entwickelt und bedienen sich dabei den historisch gewachsenen Erinnerungen an die Mühle als Ort der Ruhe, Idylle und Naturverbundenheit. Unter ökonomischen Vorsätzen werden seit kurzem systematische Untersuchungen unternommen, um die Möglichkeiten der Reaktivierung historischer Mühlenstandorte auszuloten. Vor dem Hintergrund neuer technologischer Anlagekonzepte rückt dabei nicht nur der Ausbau mit Turbinenanlagen ins Zentrum der Überlegungen, auch das Mühlrad könnte kurz vor seinem Comeback stehen.[24] Aufgrund der hohen kulturellen, sozialen aber vor allem ökologischen Anforderungen an diese Standorte und deren Umfeld, verharren solche Ansätze bislang noch auf der Ebene von theoretischen Diskussionen und Modellversuchen. Konflikte zwischen verschiedenen Interessengruppen, Naturschützern aber auch Anwohnern und dem Tourismus scheinen vorprogrammiert.
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